Die Hochzeit
War der junge Weingärtner, nachdem er seine zwei bis drei Jahre
abgedient hatte, als ein anderer Mensch, an straffe Zucht gewöhnt,
mit einem erweiterten Gesichtskreis in den Heimatort zurückgekehrt,
so konnte er daran denken, einen eigenen Hausstand zu gründen.
Die Alten waren meist bemüht, seinen Wünschen eine bestimmte
Richtung zu geben, damit "Sach zu Sach" käme. Besonders besorgte
Bekannte Suchten Sich auch eine "Kuppelweste" zu verdienen. Gespannt
wartete insbesondere die Ältere und jüngere Weiblichkeit
des ganzen Dorfes darauf, wem er seine Gunst zuwenden werde. Ein eigentliches
Verlobungsfest gab es nicht. Man war deshalb teils auf Mutmaßungen,
teils auf Beobachtungen angewiesen. Daß man miteinander "ging",
war noch kein ganz sicheres Zeichen. Ernst war dagegen der fall, wenn
zwei miteinander am Thomasfeiertag die Weihnachtsmesse in Stuttgart
besuchten, um sich gegenseitig ein Christkindle" zu kaufen. Bald hieß es
im Flecken: "Der und die hent Verspruch gheet." Dieser Verspruch wurde
aber nur selten und nur im engsten Kreise begangen.
Ob man nun auch bald Hochzeit feiern konnte, das hing vielfach vom
Herbstertrag ab. Man mußte eben warten, bis ein ordentlicher
Jahrgang Wein und Geld ins Haus brachte. In der Regel fanden die Hochzeiten
im Frühjahr oder im Herbst statt, vor Beginn oder nach Abschluß der
Arbeiten im Feld und im Weinberg. Als Hochzeitstage kamen bloß Dienstag
und Donnerstag in Betracht. Wer an einem anderen Tag, besonders wer
an einem Freitag heiratet, kann kein Glück haben. Ebenso gemieden
ist die Zeit der zwölf Nächte und der Beginn des Kirchenjahrs.
Der Kreis der Hochzeitsgäste war sehr weit gezogen. Die Einladung übernahmen
die Väter, die verschiedene Sonntage brauchten und manches Krüglein
Wein leeren mußten, bis sie überall im Bekannten- und Verwandtenkreis
ihre Einladung angebracht hatten.
Bei allen ländlichen Festen steht im Mittelpunkt das Essen. So
auch bei der "Haozich". Ein Schwein oder ein Kalb, manchmal auch beides,
wurden auf eine größere Hochzeit geschlachtet. Schon vor
dem Kirchgang führte man sich eine Stärkung zu. Sie bestand
in einem Glas Wein, einem Stück Hefenkranz oder Gugelhopf. Die
Hochzeit wurde in alter Zeit ausschließlich im Haus der Braut
gefeiert. So zog man feierlich unter Glockengeläute vom Brauthaus
den längeren oder kürzeren Weg zur Kirche, voraus die Kinder,
dahinter die ledigen Paare, dann das Brautpaar, die beiderseitigen
Eltern, anschließend die übrige Hochzeitsgesellschaft. So
ziemlich das ganze Dorf, so gut wie vollzählig die weibliche Jugend,
hatte sich eingefunden, um sich den Hochzeitszug anzusehen. Besonders
kritisch wurde die Braut betrachtet. Im schwarzen Kleid, den Myrtenkranz
im Haar, aber ohne Schleier, den Hochzeitsschal, ein kostspieliges
Geschenk des Bräutigams, um die Schultern, ging sie an der Seite
des Bräutigams, der als einzigen Schmuck seines Kirchenrocks ein
künstliches Sträußchen trug. Streng wurde auf Einhaltung
der alten Sitten geachtet. Als einst eine Braut den Hochzeitsschal
nach hinten zusammenband, statt ihn übereck fallen zu lassen,
kam es fast zu einer Revolution in der Frauenwelt Untertürkheims.
Während des Gangs zur Kirche hallten die Schüsse aus den
Karabinern der Altersgenossen des Bräutigams über das Dorf
hin.
Nach der Rückkehr von der Kirche begab sich das
Brautpaar sofort in das Pfarrhaus und überreichte dort einen Gugelhopf.
Dann wurde im Brauthaus ein ausgiebiges Essen aufgetragen. Zuerst kam
eine Nudel= oder Backofenschnittensuppe, dann gab es Rindfleisch mit
Beilagen, und nun kam als Hauptgang Kraut und Spätzle mit Schweinebraten
und Griebenwurst. Von den Frauen zumal hochgeschätzt war die "süße
Brühe", die den Abschluß bildete, eine stark gewürzte
Weinsoße mit viel Mandeln und Zibeben und mit Kaiserkuchen oder
Brottörtchen als Zugabe. Unterdessen hatten sich auch Kinder eingefunden,
die den nächsten Verwandten unter den Hochzeitsgästen einen "Haozichstrauß",
irgendein kleines Angebinde, zu überbringen hatten. Sie wußten
es mit der Zeit meist so einzurichten, daß sie in das Hochzeitshaus
kamen, solange die süße Brühe noch auf dem Tisch stand,
so daß von diesem heißbegehrten Leckerbissen für sie
auch noch etwas abfiel. Ursprünglich hatten sie ihr Angebinde
den Hochzeitsgästen unmittelbar nach der Trauung gleich beim Verlassen
der Kirche überreicht. Damals war es noch ein richtiger Strauß gewesen:
an einem kleinen Stecken waren etwas Grün oder ein paar Blumen
befestigt, daneben hing irgend ein kleines Angebinde. Erst später
wurde der Hochzeitsstrauß ins Brauthaus geschickt. Zwischen dem
Mittagessen, zu dem man Sich reichlich Zeit gelassen hatte, und dem
Abendessen machte man noch einen kleinen Spaziergang durch das Dorf
und wurde bei dieser Gelegenheit noch einmal Gegenstand allgemeiner
Neugierde. Man begab sich in eine Wirtschaft, wo dann auch getanzt
wurde. Die Jugend blieb dort gerne hängen und mußte zum
Abendessen meist durch dringliche Boten ins Brauthaus zurückgeholt
werden. Zum Abendessen gab es Braten und Salat. Bei all diesen Mahlzeiten
wurde der Wein nicht gespart.
Das Brautpaar zog nun nicht sofort in das eigene Heim ein. Erst nach
etwa vierzehn Tagen wurde der sogenannte "Einzug" gehalten. Die Brautführer
und Brautjungfern, die an der Hochzeit beteiligt gewesen waren, schafften
an diesem Tag die gesamten Haushaltungsgegenstände in das neue
Heim der Eheleute, die Mädchen trugen das Weiß- und Bettzeug,
die jungen Männer bemühten sich um die übrige Einrichtung.
Waren sie mit dieser Arbeit fertig, so fanden sich die jungen Leute
zu einem Tänzchen meist im "Ochsen" zusammen, wohin man auch
einen Klavierspieler bestellt hatte. Das war aber ein Unternehmen auf
eigene Rechnung. Auf Kosten des Bräutigams dagegen ging der Abschied
vom ledigen Stand, der am Abend dieses Tags begangen wurde. Dazu war
nicht mehr und nicht weniger als die ganze Gemeinde geladen. Diese
Tatsache ist mit ein Beweis dafür, wie sehr man sich in alter
Zeit als eine große Gemeinschaff fühlte. Der Brauch wurde
beibehalten, bis die rasche Entwicklung der Gemeinde ihn sinnlos machte.
Der letzte "Einzug" wurde im Jahre 1873 begangen. An ihm nahmen noch
125 Personen teil. Aufgetischt wurden dabei Schweizerkäse und
Weißbrot, die ohne Heller gereicht wurden, dazu Wein. Man rechnete
dabei mit einer Ausgabe von 200 bis 300 Mark. Bei tiefem Einzug wurde
aber auch den jungen Eheleuten "ins Haus geschenkt". Die "Hausschenke" bestand
in Geld, Naturalien der Einrichtungsgegenständen.