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Untertürkheimer Heimatbuch 1935
Von Johannes Keinath

Die Hochzeit

War der junge Weingärtner, nachdem er seine zwei bis drei Jahre abgedient hatte, als ein anderer Mensch, an straffe Zucht gewöhnt, mit einem erweiterten Gesichtskreis in den Heimatort zurückgekehrt, so konnte er daran denken, einen eigenen Hausstand zu gründen. Die Alten waren meist bemüht, seinen Wünschen eine bestimmte Richtung zu geben, damit "Sach zu Sach" käme. Besonders besorgte Bekannte Suchten Sich auch eine "Kuppelweste" zu verdienen. Gespannt wartete insbesondere die Ältere und jüngere Weiblichkeit des ganzen Dorfes darauf, wem er seine Gunst zuwenden werde. Ein eigentliches Verlobungsfest gab es nicht. Man war deshalb teils auf Mutmaßungen, teils auf Beobachtungen angewiesen. Daß man miteinander "ging", war noch kein ganz sicheres Zeichen. Ernst war dagegen der fall, wenn zwei miteinander am Thomasfeiertag die Weihnachtsmesse in Stuttgart besuchten, um sich gegenseitig ein Christkindle" zu kaufen. Bald hieß es im Flecken: "Der und die hent Verspruch gheet." Dieser Verspruch wurde aber nur selten und nur im engsten Kreise begangen.

Ob man nun auch bald Hochzeit feiern konnte, das hing vielfach vom Herbstertrag ab. Man mußte eben warten, bis ein ordentlicher Jahrgang Wein und Geld ins Haus brachte. In der Regel fanden die Hochzeiten im Frühjahr oder im Herbst statt, vor Beginn oder nach Abschluß der Arbeiten im Feld und im Weinberg. Als Hochzeitstage kamen bloß Dienstag und Donnerstag in Betracht. Wer an einem anderen Tag, besonders wer an einem Freitag heiratet, kann kein Glück haben. Ebenso gemieden ist die Zeit der zwölf Nächte und der Beginn des Kirchenjahrs.

Der Kreis der Hochzeitsgäste war sehr weit gezogen. Die Einladung übernahmen die Väter, die verschiedene Sonntage brauchten und manches Krüglein Wein leeren mußten, bis sie überall im Bekannten- und Verwandtenkreis ihre Einladung angebracht hatten.

Bei allen ländlichen Festen steht im Mittelpunkt das Essen. So auch bei der "Haozich". Ein Schwein oder ein Kalb, manchmal auch beides, wurden auf eine größere Hochzeit geschlachtet. Schon vor dem Kirchgang führte man sich eine Stärkung zu. Sie bestand in einem Glas Wein, einem Stück Hefenkranz oder Gugelhopf. Die Hochzeit wurde in alter Zeit ausschließlich im Haus der Braut gefeiert. So zog man feierlich unter Glockengeläute vom Brauthaus den längeren oder kürzeren Weg zur Kirche, voraus die Kinder, dahinter die ledigen Paare, dann das Brautpaar, die beiderseitigen Eltern, anschließend die übrige Hochzeitsgesellschaft. So ziemlich das ganze Dorf, so gut wie vollzählig die weibliche Jugend, hatte sich eingefunden, um sich den Hochzeitszug anzusehen. Besonders kritisch wurde die Braut betrachtet. Im schwarzen Kleid, den Myrtenkranz im Haar, aber ohne Schleier, den Hochzeitsschal, ein kostspieliges Geschenk des Bräutigams, um die Schultern, ging sie an der Seite des Bräutigams, der als einzigen Schmuck seines Kirchenrocks ein künstliches Sträußchen trug. Streng wurde auf Einhaltung der alten Sitten geachtet. Als einst eine Braut den Hochzeitsschal nach hinten zusammenband, statt ihn übereck fallen zu lassen, kam es fast zu einer Revolution in der Frauenwelt Untertürkheims. Während des Gangs zur Kirche hallten die Schüsse aus den Karabinern der Altersgenossen des Bräutigams über das Dorf hin.

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Nach der Rückkehr von der Kirche begab sich das Brautpaar sofort in das Pfarrhaus und überreichte dort einen Gugelhopf. Dann wurde im Brauthaus ein ausgiebiges Essen aufgetragen. Zuerst kam eine Nudel= oder Backofenschnittensuppe, dann gab es Rindfleisch mit Beilagen, und nun kam als Hauptgang Kraut und Spätzle mit Schweinebraten und Griebenwurst. Von den Frauen zumal hochgeschätzt war die "süße Brühe", die den Abschluß bildete, eine stark gewürzte Weinsoße mit viel Mandeln und Zibeben und mit Kaiserkuchen oder Brottörtchen als Zugabe. Unterdessen hatten sich auch Kinder eingefunden, die den nächsten Verwandten unter den Hochzeitsgästen einen "Haozichstrauß", irgendein kleines Angebinde, zu überbringen hatten. Sie wußten es mit der Zeit meist so einzurichten, daß sie in das Hochzeitshaus kamen, solange die süße Brühe noch auf dem Tisch stand, so daß von diesem heißbegehrten Leckerbissen für sie auch noch etwas abfiel. Ursprünglich hatten sie ihr Angebinde den Hochzeitsgästen unmittelbar nach der Trauung gleich beim Verlassen der Kirche überreicht. Damals war es noch ein richtiger Strauß gewesen: an einem kleinen Stecken waren etwas Grün oder ein paar Blumen befestigt, daneben hing irgend ein kleines Angebinde. Erst später wurde der Hochzeitsstrauß ins Brauthaus geschickt. Zwischen dem Mittagessen, zu dem man Sich reichlich Zeit gelassen hatte, und dem Abendessen machte man noch einen kleinen Spaziergang durch das Dorf und wurde bei dieser Gelegenheit noch einmal Gegenstand allgemeiner Neugierde. Man begab sich in eine Wirtschaft, wo dann auch getanzt wurde. Die Jugend blieb dort gerne hängen und mußte zum Abendessen meist durch dringliche Boten ins Brauthaus zurückgeholt werden. Zum Abendessen gab es Braten und Salat. Bei all diesen Mahlzeiten wurde der Wein nicht gespart.

Das Brautpaar zog nun nicht sofort in das eigene Heim ein. Erst nach etwa vierzehn Tagen wurde der sogenannte "Einzug" gehalten. Die Brautführer und Brautjungfern, die an der Hochzeit beteiligt gewesen waren, schafften an diesem Tag die gesamten Haushaltungsgegenstände in das neue Heim der Eheleute, die Mädchen trugen das Weiß- und Bettzeug, die jungen Männer bemühten sich um die übrige Einrichtung. Waren sie mit dieser Arbeit fertig, so fanden sich die jungen Leute zu einem Tänzchen meist im "Ochsen" zusammen, wohin man auch einen Klavierspieler bestellt hatte. Das war aber ein Unternehmen auf eigene Rechnung. Auf Kosten des Bräutigams dagegen ging der Abschied vom ledigen Stand, der am Abend dieses Tags begangen wurde. Dazu war nicht mehr und nicht weniger als die ganze Gemeinde geladen. Diese Tatsache ist mit ein Beweis dafür, wie sehr man sich in alter Zeit als eine große Gemeinschaff fühlte. Der Brauch wurde beibehalten, bis die rasche Entwicklung der Gemeinde ihn sinnlos machte. Der letzte "Einzug" wurde im Jahre 1873 begangen. An ihm nahmen noch 125 Personen teil. Aufgetischt wurden dabei Schweizerkäse und Weißbrot, die ohne Heller gereicht wurden, dazu Wein. Man rechnete dabei mit einer Ausgabe von 200 bis 300 Mark. Bei tiefem Einzug wurde aber auch den jungen Eheleuten "ins Haus geschenkt". Die "Hausschenke" bestand in Geld, Naturalien der Einrichtungsgegenständen.