Plaudereien aus Untertürkheim
Von Wilhelm Zwicker
Zur Einführung
Es ist das Untertürkheim der sechziger bis achtziger Jahre,
von dem hier die Rede sein soll. Was in den folgenden Zeilen festgehalten
ist, ist geschöpft aus Erinnerungen an die eigene Kindheit,
die allerdings bloß in die neunziger Jahre zurückreichen,
daneben aber aus einer Reihe von Plauderstunden mit alten Untertürkheimern.
Obwohl schon tief in den Achtzigern stehend, konnten sie doch mit
bewundernswerter geistiger Frische Auskunft geben über das,
was einst gewesen ist. In der Kürze der Zeit, die zur Sammlung
des Stoffes blieb, in der angespannten Berufsarbeit, wie sie die
Gegenwart mit sich bringt, liegt es begründet, daß diesen
Plaudereien vielfach das Gepräge des Zufälligen und unvollständigen
anhaftet. Sie wollen, wie die Familiengeschichte Untertürkheims
in diesen Blättern, nur eine vorläufige Zusammenstellung
sein, in erster Linie aber Anregung geben zu eigenen Sammlungen,
womöglich Niederschriften, die allerdings schließlich
in einer Hand zusammenlaufen sollten.
Doch kehren wir zu unserem Ausgangspunkt zurück! In den sechziger
bis achtziger Jahren war in Untertürkheim schon manches anders
geworden, als es zu der Väter Zeiten gewesen war. Die Eisenbahn
hatte den Marktflecken mit der Welt verbunden, stärker als es
die Land- und Heerstraße in den vergangenen Jahrhunderten vermocht
hatte. Die Stadtleute, die "Schtuegerter", besuchten noch den Ort
mit Vorliebe wegen seines ländlichen Gepräges und um seines
Weines willen, nicht zu vergessen, der Spargeln, die hier in seltener
Güte wuchsen und die Feinschmecker aus der Großstadt lockten;
kurz gesagt, die Stuttgarter waren jeden Sonntag gerngesehene Gäste
in den altberühmten Gaststätten des Orts, unter denen besonders
der "Hirsch" die anderen überragte. Sommers brachte sogar täglich
ein Badezug Badelustige hierher ins "Wellenbad"; sie ergingen sich
in der "Neckarlust", der Insel zwischen dem Mühlkanal und dem
Neckarbett und ließen sich wohl sein im Hirsch- und Kronengarten
im Schatten der Kastanienbäume. Umgekehrt gingen die Untertürkheimer
Weingärtnersfrauen im Frühjahr und Sommer auf jeden Wochenmarkt
nach Stuttgart "z'Märkt", die Milchfrauen, "d'Milcherna", machten
täglich den Weg in die Landeshauptstadt, manche junge Weingärtner
arbeiteten gelegentlich in den Weinbergen angesehener Stuttgarter
Familien, die ihre Ehre dreinsetzten, ihren Gästen Wein aus
eigenem Gewächs aufzuwarten.
Solche gegenseitigen Beziehungen färben ab, in diesem Fall freilich
stark einseitig. Die aufgeklärte, fortschrittliche Großstadt
ist eine Feindin alles altväterischen, das sich nicht vernunftmäßig
rechtfertigen läßt. Und so sind es schon in diesen Jahrzehnten
nur noch wenige Reste alten Brauchtums, die sich von der Vergangenheit
her gehalten haben.
Das Dorf ist schon groß geworden. Die Einwohnerzahl
hat das dritte Tausend erreicht bzw. überschritten. Schon tauchen
manche Gesichter auf und verschwinden allerdings auch großenteils
wieder, die "man" nicht kennt; es sind die Arbeiter, die von auswärts
zuziehen und die eine eben aufkommende Industrie in dem alten Weingärtnerort
gelockt hat. Im allgemeinen aber weiß man noch genau Bescheid
um einander, kennt alle Vorgänge im "Usser-, Onder- und Oberdorf.
Immer noch machen die Weingärtnersfamilien den Großteil
der Bevölkerung aus.