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Untertürkheimer Heimatbuch 1935
Von Johannes Keinath

Der Heimatort

Und den wenigsten kam es zum Bewußtsein, wie stark der Neckar auch das Ortsbild bestimmte. Er zwang die Untertürkheimer, nah beieinander zu wohnen. Denn mit den Berghängen im Rücken, dem Überschwemmungsgebiet des Neckars vor ihm war dem Weingärtnerdorf keine große Entfaltungsmöglichkeit geboten zu einer Zeit, da man die kalten Ost- und Nordwinde noch weniger schätzte als heutzutage. So war man im großen ganzen angewiesen auf den Baugrund, den der Gögelbach geformt hatte. Deshalb wohnte man auch in Untertürkheim dichter beieinander als anderswo auf dem Lande. Wir finden keine so weiträumigen Hausanlagen wie auf den Bauerndörfern, ganz wenig Garten beim Haus, die einzelnen Häuser werden von mehr Menschen bewohnt, als es sonst in landwirtschaftlichen Gemeinden üblich ist. Und weil man eng beieinander lebt, kommt es leicht zu Reibungen, allerdings kann auch in seltenen Fällen eine schöne nachbarliche Verbundenheit daraus entstehen. Im allgemeinen aber beobachtet man sich gegenseitig sehr scharf, nirgends in der Umgebung ist die Bildung von Übernamen so verbreitet wie in Alt-Untertürkheim. Bald gutmütiger Spott, bald beißender Witz, oft eine erstaunliche Bildkraft prägt sich in ihnen aus.

Das Haus

Geht man durch den Marktflecken der sechziger Jahre, so fällt, bei aller Verschiedenheit der Häuser im einzelnen, doch die Einheitlichkeit des Bildes im ganzen auf. Wir finden fast keine Schmuck- und Zierformen an den einzelnen Gebäuden, auch kein krampfhaftes Suchen nach "Stil"; aus den Notwendigkeiten des Zwecks und dem Zwange zu Sparen heraus erklären sich die Hausformen. Höheres Alter haben vielleicht die Häuser, die breit und nieder mit der Lang- und Traufseite an der Straße stehen, sie mögen teilweise bis in die Zeit des Dreißigjährigen Kriegs zurückreichen, die Mehrzahl aber kehrt die Giebelseite der Straße zu. Unter ihnen findet sich eine Reihe stattlicher Gebäude mit zwei Stockwerken und großem Speicherraum, sie wurden aber, soweit sie nicht Amtsgebäude waren, in der Regel von mehreren Familien bewohnt. Stall und Scheuer bildeten bald Anbauten oder selbständige Baulichkeiten, bald waren Vieh und Vorräte im Haus selbst untergebracht, die Ställe dann in altertümlicher Weise durch den Öhrn von den Wohnräumen getrennt, oder aber bildeten sie mit anderen Wirtschaftsräumen das Untergeschoß des Hauses, über dem sich die Wohnräume befanden. Noch hielt sich fast jeder Weingärtner mindestens eine Kuh. Eine ganze Reihe von Namen hatte man für die Kuh in ihren verschiedenen Lebensaltern. Die unterste Altersstufe war das "Kälble", daraus wurde ein "Heuranze" oder "Anebendleng", der entwickelte sich zu einem "Rind" oder "Kalbel" und wuchs schließlich zur "Kuh" heran. Aus dieser Namenreihe sehen wir, mit welcher Liebe der Weingärtner an diesem seinem wichtigsten Haustier hing. Zur Viehhaltung größeren Stils reichte es jedoch nirgends, dazu war der Ertrag an Wiesenfutter innerhalb des Zehnten zu klein. Deshalb sind die Stallanlagen auch, aufs Ganze gesehen, bescheiden. Darüber hinaus brauchte man aber auch Raum für Heu und Stroh, für die "Rebebüschele", die im Frühjahr beim "Schneiden" anfielen, für die "Gräe" (Reisigbüschel), mit denen man Herd und Ofen heizte. Denn kaum ein "Wengerter" leistete sich Tannen- oder Buchenholz, man begnügte sich mit den genannten "Gräe", das sind Büschel aus Weidenholz, die es massenhaft vor allem jenseits des Neckars im "Gschtend", aber auch sonst an den Neckarufern wuchs. Man ließ die Kopfweiden, die "Felba", ein paar Jahre wachsen, dann wurden sie im Auftrag der Gemeinde mit der "Pfôhlhôbe" abgeholzt und das angefallene Holz zu "Gräe" verkauft. Da man fast alles Brot entweder im eigenen oder im "Fleckebachhaus" selbst buk, das ganze Jahr über den Herd und im Winter den stattlichen Stubenofen heizen mußte, war der Bedarf nicht klein. Das Holz wurde im "Barn" untergebracht, der in der Scheuer einen Zwischenstock zwischen Stall und "Überleng" bildete.

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Schon ehe wir das Haus betreten, fällt uns unten an der Haustür ein mit einem Brett verschließbares kreisrundes Loch, das Katzenloch, auf. Es ermöglicht der Katze und den Hühnern in Abwesenheit der Hausbewohner freien Ein= und Auslauf. Von dieser Öffnung aus ist auch meist an einer den einzelnen Familiengliedern genau bekannten Stelle der Hausschlüssel erreichbar. In der Mitte der Haustür ist der Klopfer angebracht, ein ovaler eiserner Ring, der dazu bestimmt ist, nächtlichen Besuch anzumelden. Läßt man ihn auf den zugehörigen Bolzen fallen, so hallt der Schlag durchs ganze Haus, er erfüllt seinen Dienst also ausgezeichnet.

Was für den Bauern die Scheuer, ist für den Weingärtner der Keller, der "Kern". Er muß vor allem trocken sein. Schon deshalb durfte man nicht allzu nahe an den Wasserspiegel des Neckars herankommen. Solch stattliche, schön gewölbte Keller gab es und gibt es in Untertürkheim noch in großer Zahl, zumal unter den alten Weingärtnerhäusern und den ehemaligen Amtsgebäuden.

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Wein wurde allerdings in größerer Menge von den Weingärtnern selbst nur ungern eingelegt. Denn ihn wollte man doch im Herbst von der "Bütteme" weg verkaufen, er mußte das Geld ins Haus bringen. Deshalb lagerte in den Kellern Wein in größerem Ausmaß nur in besonders reichen Weinjahren. Für gewöhnlich enthielt die Stattliche Fässerreihe, die den Stolz des Weingärtners bildete, nur das schwäbische Hausgetränk, den Most. Von diesem Getränk aber wurden ganz gewaltige Mengen vertilgt. Für einen Weingartknecht z. B. rechnete man jährlich mit 3 Eimer (900 Liter) Bedarf. Wen es allerdings ein Weinjahr war wie das achtundsechziger, dann wollten weder Geschirr noch Fässer noch Keller ausreichen, und man mußte darauf sehen, möglichst bald die obrigkeitliche Erlaubnis zum "Schenken" zu bekommen, und mußte "da Bese naushenke". Dieser "Besen" das Zeichen vorübergehender Schankgerechtigkeit bestehend aus einigen Tannenwischen, die auf einen Pfahl gebunden und an die Hauswand gesteckt werden, ist offenbar ein altes Hoheitszeichen. Der Keller ist das Reich des Hausherrn, und deshalb steigt er, besonders wenn er ein Krüglein Wein für seine Gäste heraufholt, mit einer gewissen Feierlichkeit "ondern Bode". Aber auch die Hausfrau hat manche Vorräte im Keller aufbewahrt. Die Kinder haben besonderes Interesse für die freischwebende, mäusesichere "Hange", die am Gewölbe oben befestigt war. Dort lag das selbstgebackene Brot, damit es feucht bleibe. Denn es mußte mindestens 14 Tage reichen. Und die Mutter richtete es gewöhnlich so, daß noch ein kleiner Vorrat vorhanden war, wenn das neue vom Backhaus kam. Denn schon damals schmeckte, zumal den Kindern, das neugebackene Brot besser als das alte, aber in einer Zeit, wo man im Weingärtnerhaus mit jedem Pfennig rechnete, hätte der gierige Heißhunger der Kinder ein allzu großes Loch in den Geldbeutel gefressen. Gab es doch nur wenige Weingärtner, die ihren ganzen Bedarf selbst erzeugten und nicht noch Mehl zukaufen mußten.

Steht der Keller in erster Linie unter der Obhut des Hausherrn, so ist die Küche das Reich der Frau. Dieser Raum ist fast immer der Straßenfront abgekehrt und, was die Lichtverhältnisse anbelangt, vielfach stiefmütterlich behandelt. Der ehemals gemauerte Herd ist noch nicht durchweg durch den eisernen ersetzt. Man trifft über ihm noch den offenen Rauchfang an, der in die Rauchkammer führt. Schon der Gedanke an den Wursthimmel dort oben läßt jung und alt das Wasser im Munde zusammenlaufen. Auf einer Küchenbank stehen die Kupfer- und Holzgölten, die den täglichen Wasserbedarf enthalten. Denn noch lange gibt es keine Wasserleitung. Beim Wasserholen am Brunnen trifft sich die weibliche Dorfjugend gern zum abendlichen Schwatz, und die jungen Burschen "helfen den Mädchen gerne auf", d. h. sie helfen ihnen die gefüllten Gölten auf die Köpfe heben. Deshalb spinnen sich am Brunnen gerne erste zarte Bande an. Von den Kupfergölten abgesehen, war die Kücheneinrichtung höchst bescheiden; manche Küchen, die zu ebener Erde lagen oder gar etwas in den Boden eingelassen waren, hatten nicht einmal den üblichen Plattenbelag, sondern festgestampften Lehmboden.