Die Stube
Mittelpunkt des häuslichen Lebens war die Stube. Sie war, auch
wenn eine ganze Fülle von Kammern vorhanden war, der einzige heizbare
Wohnraum. Deshalb war die Seele der Stube der Ofen. Er gab dem Raum
durch seine Behäbigkeit etwas anheimelnd Mütterliches.
Da seine Feuerung von der Küche aus bedient wurde, stand er immer
mit der Rückenwand gegen sie. Daß zur Feuerung ganze "Gräen" verwendet
wurden, machte breit ausladende Formen notwendig. Auf den vielfach
in Zierformen gehaltenen Ofensteinen stand frei der große würfelförmige
Ofenkasten, darauf ein kleinerer Würfel, der Ofenhelm. Durch die
vorstehende obere Tafel des Ofenkastens entstand um den Ofenhelm herum
ein ziemlich breites Gesims, das man dazu benützte, um das kellerkalte
Getränk zu erwärmen, zu "überschlagen". Auf drei Seiten
des Ofens hingen von der Decke herab die "Ofestängele", an denen
im Winter Wäsche, gegebenenfalls auch Windeln getrocknet wurden.
Noch heute, nach vielen Jahrzehnten, schüttelt's den alten Leegersvetter,
wenn er an die Düfte denkt, die ihm als jungem Buben bei seinen
Gängen von Haus zu Haus, aus manchen Stuben an kalten Wintertagen
entgegenschlugen. Neben dem Ofen stand ein mit ungefärbtem Naturleder überzogener
Stuhl für den Großvater oder den Hausherrn. Der Stuhl besaß außer
Seiten- auch eine hohe Rückenlehne mit zwei "Ohren". Die von einem
Gestänge mit Vorhängen umgebene Himmelsbettlade nahm einen
großen Teil der Stube ein. In ihrer Nähe hatte auch die
Wiege ihren Platz. Über Eck standen zwei lehnenlose Bänke,
zwei "Schrannen", vor dem behäbigen Tisch mit seiner saubergescheuerten
Platte aus Birnbaumholz und seiner Schublade, in der das vielbegehrte
Brot samt dem Brotmesser und dem Tischbesteck lag. Schon ein "Kanapee" (Bank
mit einer Rücklehne aus Stäben) war selten, das schwarzüberzogene
Ledersofa mit feinen weißen Knöpfen vollends ein fast unerhörter
Luxus. Von sonstigen Möbelstücken standen in der Stube in
wohlhabenderen Häusern ein "Sekretär" mit der aufklappbaren
Platte, die heruntergelassen als Schreibtisch dient, zugeklappt den
Verschluß bildet, und höchstens noch eine "Pfeilerkommode".
Alle sonstigen Kommoden und Kästen hatten ihren Platz in den Schlafkammern;
die Schnitztruhe, die in fast keinem Hause fehlte, und an die die Kinder
manches Mal mit gierigen Augen herumstrichen, stand mehr oder weniger
reichlich mit Birnenschnitzen und gedörrten Zwetschgen gefüllt
in der Speisekammer, die in manchen Häusern recht umfangreich
war und ein großes Kastengestell, das sogenannte "Kopfhaus" enthielt.
Der Stubenboden bestand aus gehobelten Brettern, die nicht immer ganz
dicht zusammenschlossen. Samstag nachmittags wurde er, wenn aufgewaschen
war, mit Sand bestreut.
Die Wände der Stube waren teils bloß "bestochen", so daß das
Holzwerk unter dem Kalkanstrich sichtbar wurde, teils mit Holz getäfert.
Man hatte ihm seine Naturfarbe gelassen oder einen hellen Anstrich
aufgetragen, schon um den Raum etwas aufzuhellen, zumal wenn er im
Erdgeschoß lag und nur von einer Seite aus Licht hatte. Die Wände
waren fast schmucklos, höchstens der Brautkranz der Hausfrau oder
ein Rosenkränzlein eines verstorbenen Kindes weckten Erinnerungen
an freudige und ernste Tage.
In diesem Raum spielte sich das eigentliche Familienleben ab. Bis in
ihr höchstes Alter hinein blieb er all denen im Gedächtnis,
die darin auf gewachsen waren, und noch in spätesten Jahren wissen
sie um jede Einzelheit in Gestalt und Farbe.