Und den wenigsten kam es zum Bewußtsein, wie stark der Neckar
auch das Ortsbild bestimmte. Er zwang die Untertürkheimer, nah
beieinander zu wohnen. Denn mit den Berghängen im Rücken,
dem Überschwemmungsgebiet des Neckars vor ihm war dem Weingärtnerdorf
keine große Entfaltungsmöglichkeit geboten zu einer Zeit,
da man die kalten Ost- und Nordwinde noch weniger schätzte als
heutzutage. So war man im großen ganzen angewiesen auf den Baugrund,
den der Gögelbach geformt hatte. Deshalb wohnte man auch in Untertürkheim
dichter beieinander als anderswo auf dem Lande. Wir finden keine so
weiträumigen Hausanlagen wie auf den Bauerndörfern, ganz
wenig Garten beim Haus, die einzelnen Häuser werden von mehr Menschen
bewohnt, als es sonst in landwirtschaftlichen Gemeinden üblich
ist. Und weil man eng beieinander lebt, kommt es leicht zu Reibungen,
allerdings kann auch in seltenen Fällen eine schöne nachbarliche
Verbundenheit daraus entstehen. Im allgemeinen aber beobachtet man
sich gegenseitig sehr scharf, nirgends in der Umgebung ist die Bildung
von Übernamen so verbreitet wie in Alt-Untertürkheim. Bald
gutmütiger Spott, bald beißender Witz, oft eine erstaunliche
Bildkraft prägt sich in ihnen aus.
Das Haus
Geht man
durch den Marktflecken der
sechziger Jahre, so fällt,
bei aller Verschiedenheit der Häuser im einzelnen, doch die Einheitlichkeit
des Bildes im ganzen auf. Wir finden fast keine Schmuck- und Zierformen
an den einzelnen Gebäuden, auch kein krampfhaftes Suchen nach "Stil";
aus den Notwendigkeiten des Zwecks und dem Zwange zu Sparen heraus
erklären sich die Hausformen. Höheres Alter haben vielleicht
die Häuser, die breit und nieder mit der Lang- und Traufseite
an der Straße stehen, sie mögen teilweise bis in die Zeit
des Dreißigjährigen Kriegs zurückreichen, die Mehrzahl
aber kehrt die Giebelseite der Straße zu. Unter ihnen findet
sich eine Reihe stattlicher Gebäude mit zwei Stockwerken und großem
Speicherraum, sie wurden aber, soweit sie nicht Amtsgebäude waren,
in der Regel von mehreren Familien bewohnt. Stall und Scheuer bildeten
bald Anbauten oder selbständige Baulichkeiten, bald waren Vieh
und Vorräte im Haus selbst untergebracht, die Ställe dann
in altertümlicher Weise durch den Öhrn von den Wohnräumen
getrennt, oder aber bildeten sie mit anderen Wirtschaftsräumen
das Untergeschoß des Hauses, über dem sich die Wohnräume
befanden. Noch hielt sich fast jeder Weingärtner mindestens eine
Kuh. Eine ganze Reihe von Namen hatte man für die Kuh in ihren
verschiedenen Lebensaltern. Die unterste Altersstufe war das "Kälble",
daraus wurde ein "Heuranze" oder "Anebendleng", der entwickelte sich
zu einem "Rind" oder "Kalbel" und wuchs schließlich zur "Kuh" heran.
Aus dieser Namenreihe sehen wir, mit welcher Liebe der Weingärtner
an diesem seinem wichtigsten Haustier hing. Zur Viehhaltung größeren
Stils reichte es jedoch nirgends, dazu war der Ertrag an Wiesenfutter
innerhalb des Zehnten zu klein. Deshalb sind die Stallanlagen auch,
aufs Ganze gesehen, bescheiden. Darüber hinaus brauchte man aber
auch Raum für Heu und Stroh, für die "Rebebüschele",
die im Frühjahr beim "Schneiden" anfielen, für die "Gräe" (Reisigbüschel),
mit denen man Herd und Ofen heizte. Denn kaum ein "Wengerter" leistete
sich Tannen- oder Buchenholz, man begnügte sich mit den genannten "Gräe",
das sind Büschel aus Weidenholz, die es massenhaft vor allem jenseits
des Neckars im "Gschtend", aber auch sonst an den Neckarufern wuchs.
Man ließ die Kopfweiden, die "Felba", ein paar Jahre wachsen,
dann wurden sie im Auftrag der Gemeinde mit der "Pfôhlhôbe" abgeholzt
und das angefallene Holz zu "Gräe" verkauft. Da man fast alles
Brot entweder im eigenen oder im "Fleckebachhaus" selbst buk, das ganze
Jahr über den Herd und im Winter den stattlichen Stubenofen heizen
mußte, war der Bedarf nicht klein. Das Holz wurde im "Barn" untergebracht,
der in der Scheuer einen Zwischenstock zwischen Stall und "Überleng" bildete.
Schon ehe wir das Haus betreten, fällt uns unten
an der Haustür ein mit einem Brett verschließbares kreisrundes
Loch, das Katzenloch, auf. Es ermöglicht der Katze und den Hühnern
in Abwesenheit der Hausbewohner freien Ein= und Auslauf. Von dieser Öffnung
aus ist auch meist an einer den einzelnen Familiengliedern genau bekannten
Stelle der Hausschlüssel erreichbar. In der Mitte der Haustür
ist der Klopfer angebracht, ein ovaler eiserner Ring, der dazu bestimmt
ist, nächtlichen Besuch anzumelden. Läßt man ihn auf
den zugehörigen Bolzen fallen, so hallt der Schlag durchs ganze
Haus, er erfüllt seinen Dienst also ausgezeichnet.
Was für den Bauern die Scheuer, ist für den Weingärtner
der Keller, der "Kern". Er muß vor allem trocken sein. Schon
deshalb durfte man nicht allzu nahe an den Wasserspiegel des Neckars
herankommen. Solch stattliche, schön gewölbte Keller gab
es und gibt es in Untertürkheim noch in großer Zahl, zumal
unter den alten Weingärtnerhäusern und den ehemaligen Amtsgebäuden.
Wein wurde allerdings in größerer Menge
von den Weingärtnern selbst nur ungern eingelegt. Denn ihn wollte
man doch im Herbst von der "Bütteme" weg verkaufen, er mußte
das Geld ins Haus bringen. Deshalb lagerte in den Kellern Wein in größerem
Ausmaß nur in besonders reichen Weinjahren. Für gewöhnlich
enthielt die Stattliche Fässerreihe, die den Stolz des Weingärtners
bildete, nur das schwäbische Hausgetränk, den Most. Von diesem
Getränk aber wurden ganz gewaltige Mengen vertilgt. Für einen
Weingartknecht z. B. rechnete man jährlich mit 3 Eimer (900 Liter)
Bedarf. Wen es allerdings ein Weinjahr war wie das achtundsechziger,
dann wollten weder Geschirr noch Fässer noch Keller ausreichen,
und man mußte darauf sehen, möglichst bald die obrigkeitliche
Erlaubnis zum "Schenken" zu bekommen, und mußte "da Bese naushenke".
Dieser "Besen" das Zeichen vorübergehender Schankgerechtigkeit
bestehend aus einigen Tannenwischen, die auf einen Pfahl gebunden und
an die Hauswand gesteckt werden, ist offenbar ein altes Hoheitszeichen.
Der Keller ist das Reich des Hausherrn, und deshalb steigt er, besonders
wenn er ein Krüglein Wein für seine Gäste heraufholt,
mit einer gewissen Feierlichkeit "ondern Bode". Aber auch die Hausfrau
hat manche Vorräte im Keller aufbewahrt. Die Kinder haben besonderes
Interesse für die freischwebende, mäusesichere "Hange", die
am Gewölbe oben befestigt war. Dort lag das selbstgebackene Brot,
damit es feucht bleibe. Denn es mußte mindestens 14 Tage reichen.
Und die Mutter richtete es gewöhnlich so, daß noch ein kleiner
Vorrat vorhanden war, wenn das neue vom Backhaus kam. Denn schon damals
schmeckte, zumal den Kindern, das neugebackene Brot besser als das
alte, aber in einer Zeit, wo man im Weingärtnerhaus mit jedem
Pfennig rechnete, hätte der gierige Heißhunger der Kinder
ein allzu großes Loch in den Geldbeutel gefressen. Gab es doch
nur wenige Weingärtner, die ihren ganzen Bedarf selbst erzeugten
und nicht noch Mehl zukaufen mußten.
Steht der Keller in erster Linie unter der Obhut des Hausherrn, so
ist die Küche das Reich der Frau. Dieser Raum ist fast immer der
Straßenfront abgekehrt und, was die Lichtverhältnisse anbelangt,
vielfach stiefmütterlich behandelt. Der ehemals gemauerte Herd
ist noch nicht durchweg durch den eisernen ersetzt. Man trifft über
ihm noch den offenen Rauchfang an, der in die Rauchkammer führt.
Schon der Gedanke an den Wursthimmel dort oben läßt jung
und alt das Wasser im Munde zusammenlaufen. Auf einer Küchenbank
stehen die Kupfer- und Holzgölten, die den täglichen Wasserbedarf
enthalten. Denn noch lange gibt es keine Wasserleitung. Beim Wasserholen
am Brunnen trifft sich die weibliche Dorfjugend gern zum abendlichen
Schwatz, und die jungen Burschen "helfen den Mädchen gerne auf",
d. h. sie helfen ihnen die gefüllten Gölten auf die Köpfe
heben. Deshalb spinnen sich am Brunnen gerne erste zarte Bande an.
Von den Kupfergölten abgesehen, war die Kücheneinrichtung
höchst bescheiden; manche Küchen, die zu ebener Erde lagen
oder gar etwas in den Boden eingelassen waren, hatten nicht einmal
den üblichen Plattenbelag, sondern festgestampften Lehmboden.