Untertürkheimer
Heimatbuch 1935
Herausgeber Johannes Keinath
Mitarbeiter
Berckhemer, Fritz, Dr., Hauptkonservator, Stuttgart
Berner, Ernst, Vermessungsinspektor, Untertürkheim
Bleicher, Paul Karl, Volkswirt, Untertürkheim
Ellsässer, Karl, Regierungsbaumeister, Untertürkheim
Gienger, Georg, Stadtrat, Untertürkheim
Goeßler, Peter, Dr., Professor, Stuttgart
Hilzinger, Wilhelm, Oberrechnungsrat, Untertürkheim
Huber, Jakob, Oberlehrer
Keinath, Johannes, Oberlehrer i. R., Untertürkheim
Keinath, Walther, Dr., Studienrat, Heilbronn
Keller, Franz, Stadtpfarrer, Untertürkheim
Lechler, Johannes, Stadtpfarrer i. R., Untertürkheim
Pfeiffer, Wilhelm, Dr., Studienrat, Stuttgart
Reinhardt, Paul, Oberpostmeister, Untertürkheim
Schmauk, Carl, Kunstmaler, Untertürkheim
Vollmer, Karl, Reallehrer, Stuttgart
Zwicker, Luise, Frau, Bad Cannstatt
Zwicker, Wilhelm, Studienrat, Bad Cannstatt
Geleitwort
Kennst du, Muse, das Dorf zur Seite des heimischen Flusses?
Sonnigem Rebengeländ‘ schmiegt es sich weich an die Brust.
Freundlich windet des Obstbaums Grün den Kranz durch die Häuser,
Still von der Kuppe des Bergs grüßt die Kapelle herab.
Dort, wo am Ende des Dorfs die Höhe sich sanft in das Tal zieht,
Hebt sich aus saftigem Grün heiter und festlich ein Haus;
Fast wie ein Schlößchen erscheint es im Schmuck der rötlichen Giebel,
Rund um den Erker her schlingt ihm die Rebe den Arm.
Zierliche Pfeiler siehst du gereiht; die gegitterte Decke
Trägt mit des Geißblatts Duft rankender Rosen Geflecht.
Weithin schweift dort der Blick: aus des Tales grünender Fläche
Heben im wechselnden Licht Pappel und Weide das Haupt.
Goldhell schimmern die Dörflein am Hang der Höhen, die duftig,
Weich geschwungener Form schließen das reizende Rund.
Köstliche Luft weht dort; dort weilt am liebsten die Sonne,
Freut sich der Blumen all, freut sich der schwellenden Luft.
Alles gedeiht und alles erlabt sich des wonnigen Daseins,
Selbst die Rose, mich dünkt, rosiger färbt sie sich dort.
Schimmernd im Goldglanz schwingt die Taube das weiße Gefieder,
Nirgends so munter wie dort schallet der Vöglein Gesang.
Julius Klaiber
Vorwort
Die letzten fünf Jahrzehnte veränderten
das Bild unseres Heimatortes Untertürkheim von
Grund auf. Am Ende des 19. Jahrhunderts siedelten sich bedeutende
Fabrikbetriebe hier
an. Ausgedehnte Eisenbahnanlagen zwischen Untertürkheim und
Cannstatt sowie die Um-
gehungsbahn nach Kornwestheim schmälerten die landwirtschaftlich
genutzte Fläche. Zahlreiche
Wasengrundstücke wurden zum Exerzierplatz geschlagen. Der Zustrom
ortsfremder Bevölkerung,
die hier Arbeit und Brot, Wohnung und zweite Heimat fand, verstärkte
sich von Jahrzehnt zu
Jahrzehnt. Das bescheidene Weingärtnerdorf früherer Tage
entwickelte sich zu der ausgedehnten
Industriegemeinde von heute. Durch den Ausbau der verschiedensten
Verkehrsmittel und Ver-
kehrswege wurde Untertürkheim der Landeshauptstadt näher
gerückt. Am 1. April 1905 er-
folgte die Eingemeindung unseres Ortes nach Stuttgart. In 30 Jahren
hat sich der Vorort
mehr und mehr zu einer bedeutsamen Vorstadt emporgearbeitet. Die
Neckarverlegung 1922 bis
1924 gab unserer Heimat ein vollkommen andersartiges Gesicht.
Dieses Heimatbuch möchte die Wege aus der Vergangenheit
in die Gegenwart und in die
Zukunft aufweisen. Es möchte den heutigen und künftigen
Bewohnern unseres Ortes ein Stück
Heimatgut bewahren, das den älteren Einwohnern noch bekannt
ist, und das sich aus früheren
Berichten erschließen läßt. Veranlaßt wurde
das Buch durch das Streben unserer Zeit, zu den
Quellen unseres Volkstums zurückzukehren und die Heimatliebe
zu fördern. Seit nahezu
drei Jahrzehnten gibt Stadtpfarrer Lechler die „Untertürkheimer
Chronik“ heraus, die lebens-
volle Bilder früherer Tage entrollt und den Einheimischen von
jeher viel Freude bereitet hat.
Hier wird die Ortsgeschichte bis auf die Gegenwart herabgeführt
und in die politischen Gescheh-
nisse von Volk, Staat und Reich hineingestellt. Auch Volkswirt Bleicher
hat mit einer Stoff-
sammlung eine fleißige Vorarbeit geleistet. Im Frühjahr
1933 fanden sich einige Heimat-
forscher zu ehrenamtlicher Weiterarbeit zusammen. Studienrat Dr.
Pfeiffer und Professor
Dr. Goeßler, zwei anerkannte Fachmänner, erklärten
sich bereit, den geologischen Aufbau und
die Vorgeschichte unserer Landschaft niederzuschreiben. Vielen Dank
schulden wir auch Dr. Fritz
Berckhemer von der staatlichen Naturaliensammlung für seine
Einlagen in Ur- und Früh-
geschichte und in dem Artikel Landschaft. In weiteren Abschnitten
unseres Buches wird der
Raum behandelt, auf dem und aus dem Menschen, Tiere und Pflanzen
leben. Im Mittelpunkt
des Ganzen aber steht der Mensch, der diesen Lebensraum nach seinen
Bedürfnissen und Wün-
schen umgestaltet und sich dienstbar macht. Zur Dorfgeschichte gesellen
sich Abschnitte über die
alten Untertürkheimer Familien, über Trachten, Sitten
und Bräuche unserer Vorfahren. In
jahrhundertelanger Arbeit sind die Fluren und Verkehrswege, die
Weinberge, Äcker und Gärten
rings um das Dorf angelegt und bestellt worden. In den letzten 50
und 400 Jahren ist die Sied-
lung nach allen Richtungen hin aus Alt-Untertürkheim herausgewachsen.
Eisenbahn und Post,
Industrie und (Gewerbe, Handel und Verkehr werden in besonderen
Abschnitten behandelt. Vom
inneren Leben der Gemeinde berichten die Artikel über die Kirchen,
über das Schulwesen, über
die Vereine der verschiedensten Art und über die NSDAP. Eine
Reihe von Männern aus
verschiedenen Berufen, die Untertürkheim entstammen oder hier
ihre Heimat fanden, haben sich
in diese vielfältigen Aufgaben geteilt. Ein weiterer Kreis
von Ortsansässigen, von Alten und
Jungen, hat sich gerne bereit erklärt, Wissenswertes mitzuteilen,
Anregungen zu geben und Bil-
der beizusteuern. Ihnen allen, insbesondere aber allen Bearbeitern
einzelner Abschnitte, sei herz-
licher Dank gesagt! Diese hatten viel Zeit und große Mühe
aufzuwenden, um die früheren Ver-
hältnisse zu erforschen. Durch selbstlose, aufopfernde Arbeit
haben sie das Zustandekommen des
Buches ermöglicht und sich darum den aufrichtigen Dank unserer
Heimatgemeinde verdient. Es
war ein glücklicher Umstand, daß zwei Untertürkheimer,
Kunstmaler Schmauk und Vermessungs-
inspektor Berner, sich in den Dienst des Buches stellten. Außer
ihnen haben Oberlehrer Hummel
und Pacius sowie Dr. Wieser Aufnahmen geliefert. Ihrem Fleiße
und Können ist der reiche
Bilderschmuck und das gute Kartenmaterial zu danken. Unser Heimatbuch
will sich mit keinem an-
deren Buche seiner Art messen, das vor ihm erschienen ist. Es ist
aus den Untertürkheimer Verhält-
nissen herausgewachsen und für sie bestimmt und hat darum sein
eigenes Gepräge. Mochte da und
dort eine Tatsache doppelt vermerkt werden, so rührt dies daher,
daß verschiedene Mitarbeiter am
Werke waren. Wichtig war uns, daß jeder Beitrag in seiner
Eigenart erhalten blieb. In den Ab-
schnitten Industrie und Gewerbe sowie auch sonst mußten bestimmte
Grenzen gezogen werden. Es
war nicht möglich, alles und jedermann aufzuführen, und
es war nicht beabsichtigt, irgendeine
Tatsache oder eine Person ungerechterweise zu übergehen. Bilder
von Lebenden sollten grundsätzlich
nicht gebracht werden. Untertürkheim ist trotz seiner Industrie
heute noch ein ausgesprochener
Weingärtnerort. Dieser Umstand bringt es mit sich, daß
der Weingärtnerstand und seine Arbeit
in den Vordergrund gerückt sind. Eine erschöpfende Darstellung
war in den einzelnen Gebieten
nicht erstrebt und nicht erreichbar. Ein knappes Jahr stand den
einzelnen Mitarbeitern zur Ver-
fügung, während dessen sie sich, zumeist in ihrer Freizeit,
ihren Stoff erarbeiten konnten. Möge
es kein Abschluß, sondern ein Anfang sein, der weiterer Heimatforschung
den Weg weist, und
mögen sich recht viele bereitfinden, sie weiterzuführen!
Die finanziellen und geschäftlichen Abmachungen,
die das vorliegende Buch betrafen, brachten
vielerlei Mühe mit sich. Besonderen Dank erwarb sich Oberrechnungsrat
Wilhelm Hilzinger,
der Leiter der hiesigen bürgermeisteramtlichen Geschäftsstelle,
der sich dieser Arbeit mit großer
Umsicht und ganz besonderem Geschichte unterzog, sowie der Ortsgruppenleiter
der NSDAP.,
Stadtrat Georg Gienger, der durch warme Fürsprache und musterhaft
geleistete Werbung den
Absatz vermittelte. Wir haben uns bemüht, das Ganze auf den
1. April 1935 fertigzustellen, auf
den Tag, an dem seit der Eingemeindung Untertürkheims 30 Jahre
verflossen sind. Unsere Zeit
wendet sich ab von der Heimat- und Wurzellosigkeit jüngst vergangener
Zeiten. „Blut und Bo-
den“ sind unserem Geschlechte die Leitsterne in eine bessere
Zukunft. Wir wissen, daß wir Einzel-
glieder in einer langen Kette von Geschlechtern sind. Wir fühlen
uns den Vorfahren verpflichtet,
deren Erbgut wir in uns tragen, und wir fühlen uns den Nachkommen
verpflichtet, die den hei-
matlichen Boden aus unseren Händen übernehmen werden.
Es gilt wieder, die Kultur im Volke
zu verankern und ihr den Vorrang vor der Wirtschaft einzuräumen.
Das Bauerntum, dem
unsere Untertürkheimer Weingärtner zugehören, ist
uns wieder der Lebensquell des Volkes. Alle
Stände sollen wieder das rechte Verhältnis zueinander
und das rechte Verständnis füreinander
finden. Diesen von unserem Führer Adolf Hitler gewiesenen Zielen
will dieses Heimatbuch dienen
indem wir Liebe und Pflege unserer engeren Heimat wecken und vermehren
wollen, tragen wir
dazu bei, die Liebe zum Ganzen, zum Vaterland zu kräftigen.
An einem Wendepunkte der
Zeit wollen wir Lebensvolles und wirksames Gut der Vergangenheit
und Gegenwart den künf-
tigen Geschlechtern übermitteln. Möge unser Buch ein rechtes
Heimatbuch werden, das jeden
Untertürkheimer zu fesseln vermag und das in jedem Untertürkheimer
Hanse zu finden ist!
Untertürkheim, im März 1935
Der Herausgeber
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