[pag146] Die drei ersten Jahre des 18. Jahrhunderts
brachten den Untertürkheimern doch wieder einen reichen Herbst,
und am 4. November 1701 hatte Pfarrer Zeller auf "expressen, hochfürstlichen,
gnädigsten Befehl" eine solenne Dankpredigt zu halten. Aber schon
im Jahr 1702 begannen neue Kriegsunruhen, und der Herzog ließ landauf,
landab Werbetrommeln schlagen. Am 3. November 1703 starb Pfarrer Zeller,
der zuletzt sehr schwach gewesen war. Sein Nachfolger, Magister Karl
Bardili, gab sich alle Mühe, in der Gemeinde und in der Schule
Ordnung zu stiften, und fand dabei Unterstützung von Bürgermeister,
Gerichtsherren und Richtern, die "in christlicher Einträchtigkeit
die Gemeindedisziplin zu verbessern suchten, denn die Jugend war sehr
frech und keck". 1705 hatte der Amtmann, 1704 der Pfarrer einen frühen
Tod gefunden. Im Jahr 1705 bekam der Ort einen neuen Pfarrer, Magister
Johann Ulrich Pregizer, und einen neuen Amtmann, Johann Jakob Majer,
die beide eine Reihe von Jähren den Dienst an der Gemeinde treulich
verwalteten. Do Gemeinde zählte damals 763 Seelen: 151 Bürger,
23 Witwen, 4 Beisassen. (10 Jahre später waren schon 990 Seelen;
178 Bürger, 28 Witwen und 12 Beisassen.) Gerichtsschreiber war
Marx Schönhaar, "ein geschickter und fleißiger Mann". Die
Kriegsnöte nahmen kein Ende. Im Winter 1703/04 war man von den
einquartierten Reichstruppen geplagt, und die Klage über diese "Schutzengel" war
allgemein. Im Frühjahr 1704 stand Herzog Eberhard Ludwig selbst
mit 4000 Mann Haustruppen bei Untertürkheim, ese er abmarschierte,
um dann bei den siegreichen Kämpfen, namentlich bei Höchstädt
am 13. August 1704, sich großen Waffenruhm zu erwerben. Aber
sein Land hatte den Durchmarsch der 60000 Mann starken verbündeten
Armee auszuhalten und im September noch einmal Marschquartiere zu leisten.
Im Oktober 1704 beschloß das Zensurgericht, den [pag147] wohlempfohlenen
Provisor Josias Schindler nach Zustimmung des Spezial (Dekan) zu zitieren
und "nach Befinden zu einem Provisor zue der Schuel anzunehmen". Er
wurde dem alten Schulmeister Johann Jakob Efferhen adjungiert, der
zwar "recht gute Qualitäten" hatte, aber in "Information etwas
träge" wurde. Der Junge hat sich dann "im Informieren wohl erwiesen
und die ungezogene Jugend in eine Ordnung gebracht".
1708 ist er an Efferhens Stelle getreten, dam nach
vierunddreißigjährigem Dienst im August 1708 vom Gericht
und Rat der Abschied verwilligt wurde. Schindler hat auch eine Reihe
von Jahren der Gemeinde gedient. Das Jahr 1706 hat sehr viel und guten
Wein gebracht. In diesem Jahr ist Hans Leonhard Hubenbauer, nachdem
er bei den Franzosen "seinen elterlichen Abschied" erhalten hatte,
in die Heimat zurückgekehrt. Obgleich die Franzosen in den Niederlanden
geschlagen worden waren, setzte doch Marschall Villars im Mai 1707 über
den Rhein, und die Reichstruppen waren wieder nicht imstande, unser
Land vor den räuberischen Horden zu schützen. Die Preußen
aber blieben ruhig am Niederrhein stehen. die treue Landesmutter, Herzogin
Magdalene Sibylle, schloß nun einen Vertrag mit den Franzosen,
daß sie gegen Zahlung von einer Million Gulden das Land mit Raub
und Brand verschonen sollten. Das hinderte aber die Vertragsbrüchigen
nicht, mit 1500 Reitern durch den Ort zu ziehen, um das Oberland auszurauben.
Nachher schlugen sie im Neckartal ein Langer auf und plünderten
von da aus die Filderorte. Nachdem die Hauptmacht Schorndorf eingenommen
hatte, leerte Villars vor seinem Abzug noch die Cannstatter Magazine
und verwüstete die ganze Gegend aufs greulichste, so daß es
wieder eine allgemeine Flucht nach Eßlingen gab. Am 24. Juni
1707 hat die Räuberbande den Flecken gründlich ausgeplündert.
Obgleich die Herzoginmutter den Abzug der Franzosen mit über einer
Million Gulden erkauft hatte, mußte doch der Herzog noch 1712
die letzten in einem siegreichen Gefecht bei Hornberg aus dem Land
jagen. Der 1714 in Rastatt geschlossene Friede aber brachte dem Land
keine Entschädigung, und doch wurde der Kriegsschaden auf 16 Millionen
Gulden angeschlagen.
Eberhard Ludwig hatte sich 1697 mit Johanna Elisabetha
von Baden verheiratet und zu ihrer Heimführung eine glänzende
Leibgarde zu Pferd errichtet. Zehn Jahre später aber ließ er
sich von einem hergelaufenen Fräulein von Grävenitz so umgarnen,
daß er seiner Gemahlin die Scheidung aufzudrängen suchte
und sich außer Lands mit der Hexe trauen ließ. Der Hofkaplan
weigerte sich, dem Ehebrecher das Abendmahl zu reichen. Der Herzog
setzte ihn als Hochverräter gefangen, aber trotz dem Widerstand
des Prälaten Osiander und des Konsistoriums ließ er nicht
von dem Weibe, sondern ließ sie zum Schein einen Graf Würgen
heiraten, und nun hielt sie als Gräfin Würben und Landhofmeisterin
[pag148] stolz und frech ihren Einzug in Stuttgart. Der Herzog aber
baute ihr in seiner neugegründeten zweiten Residenzstadt Ludwigsburg
ein prachtvolles Schloß. Im August 1712 ist die Mutter des Herzogs,
Magdalene Sibylle, heimgegangen. Sie war eine edle, fromme Frau, die
sich in den schwersten Zeiten als eine rechte "Mutter in Israel, Fürbetterin
und Säule des Landes" bewiesen hat; und nun, nachdem sie in so
vielen schweren Kriegsstürmen ihrem Volk nach all ihrem Vermögen
geholfen hatte, mußte sie das Treiben ihres Sohnes mit ansehen,
ohne helfen zu können. Die Landhofmeisterin hatte die Frechheit
zu verlangen, daß sie ins Kirchengebet aufgenommen werde: der
Hofkaplan Öchslin erwiderte, das geschehe bereits in der Bitte:
Erlöse uns von dem Übel. Erst im Jahr 1731 wurde das Land
von dem Scheusal erlöst.
Im Juni 1716 wurde der Ort in Schrecken gesetzt dadurch,
daß über Mittag auf einmal das Haus, das dem Jakob Ganschopf?und
Marx Müller wohnten, zusammenstürzte. Der kranke Marx Müller
und Frau Ganschopf mit zwei Kindern waren zu Hause. Als die Leute vom
Felde herbeieilten und Ruhe geboten worden war, hörte man Ächzen
und Gilfen unter den Ruinen, und als man mit großer Vorsicht
Schutt und Gebälk abgeräumt hatte, stelle es sich heraus,
daß der sechzigjährige Marx Müller 2 Stock hoch in
den 20 Staffeln tiefen Keller hinuntergefallen und fast unbeschädigt
stehen geblieben war, während neben ihm ein erschlagenes Kalb
lag. Frau Ganschopf aber die eben ihre Kinder ins Bett gelegt hatte,
fand man ohnmächtig zwischen ihren Kindern. Das ältere war
ein wenig gequetscht, das jüngere lag ganz unversehrt in dem zum
großen Teil zerschmetterten Wiege. Konnte man hier Gott für
wunderbare Hilfe aus größter Not und Gefahr danken, so war
in der ganzen Gemeinde die Not sehr groß. Zu den Kriegsschäden
kamen im Jahr 1713 und 1714 zwei Fehljahre, und doch sollten die furchtbar
schweren Steuern gezahlt werden, damit der Herzog seiner Kebse Schlösser
bauen und ungezählte Summen an sie verschwenden konnte, während
seine Untertanen im Elend verkamen. In den Jahren 1713 und 1714 sind
von 22 Toten je 6 an mangelnder Ernährung gestorben und in einem
Jahr haben die Pocken 110 Kinder weggerafft, denn je elender die Leute
sind, desto empfänglicher sind sie für ansteckende Krankheiten.
Im Jahr 1717 sind dann auch noch Untertürkheim wie Obertürkheim
und Wangen durch ein großes Hochwasser in fast gänzlichen "Tataleinum" gekommen.
Zahlreiche Baum- und Grasfelder sind weggerissen und zum Teil in Seen
und Kiesfelder verwandelt worden. 1719 verfaßte der Gerichtsschreiber
Marx Schönhaar eine Klageschrift, nachdem im Winter wieder ein
Brocken vom Ufer weggerissen worden war, daß man doch diesen
Schaden für die Zukunft beheben möchte. "Aber auch unterhalb
der Brücke, bei dem so schön gewesenen Wasen, der für
die Viehhaltung Untertürkheims eine höchst nötige Weide
sei, habe ein Hochwasser fast die Hälfte weggenommen und in Kies
und Wasser verwandelt. So sein dem armen Vieh seine suchende Nahrung
ohnverantwortlich entzogen worden. Trotzdem habe man dem Kugler von
Fellbach gestattet, ein auf 500 Stück anwachsende Herde auf hiesigem
Zehnten allein weiden zu lassen. Die Schafe haben die Wurzeln aus dem
Boden gezogen und unseren selbst habenden Schafen das Gras von dem
Maul hinweggefräßt." In demselben Jahr ist mitten im Herbst
ein Haus abgebrannt. Im vorderen wohnte Jung Jakob Käser, im hinteren
Elias Schönhaar. Die Frau hatte ihre Kinder mit dem Licht in die
Kammer geschickt, die voll Stroh war. Sie wurde mit den zwei jüngeren
Kindern gerettet, starb aber an den Branswunden, die beiden älteren
Kinder sind jämmerlich verbrannt.
In all diese Not und Jammer hinein ist 1717 doch auch
wieder ein Fest gefeiert worden zum Gedächtnis der Reformation. "Ein
großer Tag, ein Tag voll Freud und voller Wonne, den wir Gott
Lob! erlebt; da scheint die Gnadensonne uns hell und klar, da man heut
billig jubilieret, weil durch Lutheri Dienst dei Kirch so schön
gezieret." Das Opfer des Festes war für die Armen bestimmt, damit
sie sich recht von Herzen mitfreuen können. Durch hochfürstliches
Ausschreiben vom 11, Dezember 1722 wurde die "wahre evangelische und
solenne" Konfirmation mit den jungen Leuten, welche zum Abendmahl gehen
wollen, angeordnet; und am Sonntag Quasimodogeniti 1723 ist die erste
Konfirmation mit 7 Knaben und 10 Mädchen im Alter von 13 bis 17
Jahren unter großer Andacht, Impression und viel Tränen
gefeiert worden. Die Konfirmierten konnten dann, wenn sie wollten,
an einer der nächsten Abendmahlsfeiern teilnehmen. Die Vorbereitung
auf das Abendmahl wurde mit jedem einzelnen im Pfarrhaus vorgenommen.
Die Reihenfolge der Konfirmanden war nicht nach dem Alter sondern die
Honorationenkinder kamen zuerst. Merkwürdig ist, daß von
den Knaben alle außer einem als ersten Nahmen Johann, von den
Mädchen alle bis auf eine als erste Maria haben.
Im Juni 1726 wurde das Neckartal von einem fürchterlichen
Unwetter heimgesucht. Der Hagel verwüstete Felder und Weinberg,
und die Bäche schwollen dergestalt an, daß ein junger [pag149]
Mensch, der mit seinem Pferd in Hedelfingen über dei Dürrenbachbrücke
hinabstürzte, von dem angelaufenen Bach fortgerissen und zwei
Stunden nach her auf hiesiger Markung tot gefunden wurde. Das Jahr
1724 hatte einen reichgesegneten Herbst gebracht, und der Hagelschaden
des Jahres 1726 wurde durch die zwei darauffolgenden Jahre mit ihrem
guten Herbst ersetzt. Ein Schaden auf andere Art war es, daß trotz
dem Kasernenbau in Stuttgart immer noch viel Militär in Bürgerquartieren
lag. 1732/33 sind hier in Quartier gelegen: Prinz Alexandrinische Rekruten
und "mitgetander Verpflegung auch zugleich angeschafftem Logis" 9 Monate
lang Major Kiesers Kompanie des fürstlichen Gardefüsilierregiments.
Damit hing dann die Beschwerde im Bericht des Dekans zusammen über
das der ersten Tafel des Gesetzes widersprechende Exerzieren der jungen
und ledigen Bursch am Sonntag vor dem Gottesdienst, dadurch alle gute
Ordnung über den Haufen geworfen, aller Unordnung aber Tür
und Tor aufgetan werde. Wie groß die Sterblichkeit damals gewesen
ist, mag daraus ersehen werden, daß in unserer nicht mehr 900
Seelen zählenden Gemeinde in 2 Jahren, 1728 und 1729, mehr als
100 Gemeindeglieder, darunter 41 kleine Kinder, gestorben sind, 12
an Pocken, dem Würgengel unter den Kindern vergangenerer Zeiten.
Ein Beweis, wie groß die Not und Armut im Ort damals war, ist
das, daß an einer bösartigen epidemischen Krankheit 27
Alte und Junge und in einem Jahr nicht weniger als 10 an Lungenleiden
gestorben sind. 17. Dezember 1728 ist auch Johann Georg Hettich, der
es nach seiner abenteuerlichen Desertion aus dem französischen
Heer noch zum Gerichtsverwandten gebracht hat, mit 62 Jahren einem
Herzleiden erlegen. Hubenbauer ist schon 1717 gestorben, und Höschlin,
der von den ungeheuren Strapazen seiner Flucht "auf der Brust eine
Letze" davongetragen hatte, 1724. Im Jahr 1730 ist auf Pfarrer Pregizer
gestorben, erst 57 Jahre alt, der 25 Jahre lang der Gemeinde aufs treuste
gedient hat. Der Spezial sagte von ihm: "Ist in seinem Amt seht fleißig,
sonderlich wegen seiner sorglichen Krankenbesuche beliebt." Das Domkapitel
zu Konstanz hat dann den erst 25 Jahre alten Sohn des Verstorbenen,
Philipp Ulrich, der schon 1726 über die Osterfeiertage "Vikarsgeschäfte
prästiert" hatte, zum Pfarrer nominiert. Er wurde aber so leidend,
daß er einen Vikar halten mußte, der seinen zwei Jahre
jüngeren Pfarrer im Monat Mai zu Grabe geleiten mußte. Die
Leichenpredigt hielt Magister Jakob Bernhard Ehrhard, der dann sein
Nachfolger wurde. Dem neuen Pfarrer war es ein großes Anliegen,
die neue Schulordnung von 1729 in Gang zu bringen. Nach derselben sollte
in jeder Schule wenigstens eine Bibel sein und der Schulmeister daraus
vorlesen. Der Schulbesuch lag fortwährend sehr im argen. Es gab
Eltern, die ihre Kinder erst mit 9 Jahren in die Schule schickten,
auch Jahr und Tag wegbehielten, um das Schulgeld zu sparen. Sie sollten
nun um den Betrag des Schulgeldes in den Armenkasten gestraft werden.
Kein Kind sollte ohne Vorwissen des Pfarrers die Schule verlassen oder
die Sommerschule versäumen. 1730 waren es sommers 90, winters
115 Schüler. Später wurde dem Kirchenzensurgericht die regelmäßige
Abrügung der Schulversäumnisse zur Pflicht gemacht. einstweilen
aber mußte Jonas Schindler es hilflos mit ansehen, daß die
Schüler kamen oder wegblieben, wie es den Eltern beliebte. Bei
dem allen muß freilich die klägliche Armut der Bevölkerung
berücksichtigt werden. Das machte auch den Kampf gegen das Bettelwesen
so aussichts- und rücksichtslos. Man ging ja mit den Bettlern
schrecklich um. Eine Witwe wurde, obgleich "in Zügen liegend",
von Cannstatt herauftransportiert und starb vor dem Betelhaus. Ein
etwa zwanzigjähriger Mensch wurde Ende Dezember 1730 auf der Bettelfuhr
krank hier hergebracht. Weil er aber nicht von hier war, sollte er
weitertransportiert werden. Auf dem Weg nach Wangen ging er im Fieber
durch, und man fand ihn am Neckar tot an einen Zaun gelehnt. Auch die
Ortsarmen waren äußerst knapp gehalten. Und wenn eine Witwe
mit ihrem kranken Sohn wöchentlich 20 Kreuzer bekam, konnte man
es ihr nicht verwehren, daß sie wöchentlich "ostiatim",
von Türe zu Türe, von guten Leuten Gaben erbat. Aber der
Heilige vermochte nicht mehr zu leisten. Von dem ausgeliehenen Gelde
gingen keine Zinsen ein. Manche ließen die Zinsen höher
anschwellen, als das Kapital war. Die Opfer für die Armen waren
gering, und das Glöckleinsgeld, dar Ersatz des früheren Klingelbeutels,
ging schlecht ein. Einer überhäufte wegen ein paar Kreuzern
die Einsammelden mit den greulichsten Flüchen und Schimpfreden,
so daß er vor das Kirchenzensurgericht gefordert werden mußte.
Die Schwörbüchsen brachten auch nicht viel ein, denn dei
Wirte wollten ihre Kunden nicht vertreiben dadurch, daß sie bei
einem Fluch die Strafbüchse präsentieren. Außer den
Ortsarmen war es ein ganzes Heer von Bettelleuten, das sich auf der
Straße herumtrieb. 1732/33 hatte der Bettelleutführer Jakob
Müller nicht weniger als 96 Bettelfuhren, die dann dei Armenkasse
auch wieder je 6 Kreuzer kosteten. Um dem Unwesen zu steuern, wurde
ein Arbeits- und Zuchthaus in Ludwigsburg geplant, für das im
ganzen Herzogtum geopfert werden sollte. Die Pfarrer hatten in der
Predigt über das Evangelium vom barmherzigen Samariter den Zuhörern
die Pflicht einer ergiebigen Beisteuer einzuschärfen. Zwei Männer
vom Magistrat mußten von Haus zu Haus die Beiträge in eine
Liste einzeichnen. Dabei waren nicht bloß die Bürger, sondern
auch die Gemeinde bettelarm, und doch war sie verantwortlich für
das vollständige Eingehen von Steuern. In der Gemeinderechnung
1732/33 heißt es: "Damit die hiesig vorhin verarmte Bürgerschaft
wegen ausständig gewesener Steuern bereits angedroht wordene militärische
Exekution wieder abgewendet werden möchte, so haben wir mit Oberamts-
und herrschaftlicher Bewilligung bei dem Gerichtsadvokaten Wolff in
Tübingen 600 fl. Kapital aufgenommen und zu Bezahlung der Steuer
angewendet. Da aber die Bezahlung der Steuer bei in- und ausgesessenen
Kontribuenten sehr langsam hervorgegangen, gleichwohl aber die darauf
gegebenen pressanten Anweisungen dennoch ohnangesehen aller vorgestellten
Impossibilität (Unmöglichkeit) völlig bezahlt werden
müssen, so mußte, da bei den meisten Schuldnern die pure
Ohnmöglichkeit und große Armut vorgewaltet, abermals Oberamts-
und Gerichtlich erlaubt und resolviert zu Abwendung der die die Bürgerschaft
zu besseren Kräften kommen werde, auf Restitution entlehnt werden",
und zwar bei Rentkammer Expeditionsrat Ph. J. Vischer 300 Gulden, bei
Amtmann und Keller Mayer hier 1250 Gulden. Im folgenden Jahr ist dann
wegen des ausstehenden, in Gold zur fürstlichen Kastkellerei zu
zahlenden Betweins ein Beamter mit 28 Kreuzer Taglohn "auf der Exekution
allhier gelegen". Der Vogt aber mußte wegen der allhiesigen morösen
Steuerschuldner zur Exekution und übrigen Einrichtung hierher
und hat "inmittelst verohnköstigt" 3 Gulden 3 Kreuzer. Weil aber
der Einzug ferner schlecht vonstatten ging, mußte er nochmals
mit dem Amtspfleger hieher und der wirklichen Exekution beiwohnen.
Taggeld: 5 Gulden 25 und 3 Gulden 12 Kreuzer. Kein Wunder betrug
der "Ordinari und Extraordinari Steuern und Anlagen Ußstand" 11525
Gulden. Und bei dieser jämmerlichen Armut der Gemeinden und der
Bürger hat der Herzog ungezählte Tausende für die Grävenitz
verschleudert. Dezember 1732 wurde das Land endlich durch einen für
die Mätresse viel zu günstigen Vertrag von diesem Übel
erlöst. Unter starker Bedeckung, um sie vor der Wut der Bevölkerung
zu schützen, wurde sie von Urach, wo sie in Gewahrsam gewesen
war, nach Heidelberg gebracht. 1731 hatte sich Herzog Eberhard Ludwig
mit seiner Gemahlin, der edlen Dulderin, ausgesöhnt. In demselben
Jahr ist ihm sein einziger Sohn gestorben, und als er ihm am 31. Oktober
1733 im Tode nachfolgte, bekam das evangelische Württemberg als
Herrn einen Kriegsmann, der als österreichischer General katholisch
geworden war.
Karl Alexander trat seine Regierung mit den schönsten
Versprechungen an, und als die Franzosen wieder über den Rhein
kamen, schützte er das Land vor ihrem Einbruch. Als Verbündeter
des Kaisers ließ es eine Werbung vornehmen, und als diese noch
nicht genügte, eine Auswahl, bei der er nicht bloß wie bisher
Aushauser und überlästige Personen, sondern tüchtige
junge Leute, die daheim arg fehlten, aushob; auch werden den Untertanen
die besten Pferde weggenommen. Er wollte ein stehendes Heer haben und
nötigte die Landstände, ihm 10000 Fußgänger 2000
Reiter und 1000 Husaren zu bewilligen, trotz der großen Schuldenlast,
die auf dem Lande lag. Karl Alexander gehörte zu den Despoten,
seiner Meinung nach zu den menschenfreundlichen. Sein Ratgeber bestärkten
ihn in seinen Ansichten und in seiner Verblendung, als ob er ein Wohltäter
seines Volkes wäre. Der Jude Süß Oppenheimer, den er
zum Geheimen Finanzrat machte, erklärte: "Der Herzog ist Herr,
und alles, was die Untertanen haben, gehört de, Herrn." Und der
katholische General Remchingen, der in Militärsachen sein erster
[pag151] Ratgeber war, rief aus: "Die Canaillen, die Beamten, haben
keinen Respekt vor den Offiziers, da doch Serenissimus mehr Consideration
vor einem Stabsoffizier als vor zehn Federfuchsern hat." Weil der Herzog
sich für den Wohltäter des Landes hielt, war er voll Widerwillen
gegen die widerspenstigen Landstände. Wenn sie kein Geld verwilligten,
und er brauchte viel Geld, so schaffte es ihm der Jude. Zuerst durch
Münzverschlechterung, das schlug freilich wie im Dreißigjährigen
Krieg zum Schaden des ganzen Landes aus, dann mit allerlei Monopolen
und indirekten Steuern. Die Generallandeskommission, die das Land von
Grävenitzschen Günstlingen säubern sollte, wurde benützt,
um ganz Unschuldige durch Drohung zu schröpfen. Ein Tutelarrat
bekam die 'Mündelgelder in seine Hand und besteuerte Testamente
und Inventuren. Charakteristisch für den Ton der "Untertanen" ist
die Bittschrift um dessen Abschaffung: "Die Bevollmächtigten des
Größeren Ausschusses befinden sich nach tragenden schweren
herrschaftlichen und Landespflichten höchst benötigt, euer
Hochfürstlichen Durchlaucht in tiefst niedrigstem Respekt geziemend
vorzustellen, wie sie dieses Vorhaben als eines beschwerlichen und
schädlichen Gravaminum ansehen. Wannenhero sie ganz gehorsam und
flehentlich bitten, Höchstdieselben möchten gnädigst
geruhen, nach Hocherleuchtenden der Sachen Einsicht dieselbe wieder
aufzuheben und die, welche dero christfürstlich Gemüt zu
dergleichen schädlichen Abänderungen bewegt, mit nachdrücklicher
Ahndung zu belegen." Genützt hat die Bittschrift natürlich
nichts. Dagegen bot die Errichtung eines Gratial- und Fiskalamtes dem
Juden Gelegenheit, den vom Herzog verabscheuten Ämterhandel aufs
Schwunghafteste zu betreiben und das Recht um Gold feil zu machen.
Titel und Ämter wurden um schwer Geld verkauft. Für eine
Amtmann musste zahlte man 400, für eine Leutnantstelle 750 Gulden,
höhere natürlich mehr. Auch einen lukrativen Handel mit Juwelen
trieb der gewiegte Finanzrat. Dem Rat Heyland, dessen Haus in der Langen
Gasse steht, bat er für mehrere tausend Gulden Juwelen aufgenötigt.
Nach dessen Tod verlangte er sie zu sehen und gab sie nicht mehr zurück.
Als der Herzog endlich von den Betrügereien des Juden unterrichtet
wurde, war er sehr entrüstet. Aber der Jude verstand es, ihn umzustimmen,
und erlangte Februar 1737 ein Absolutorinm vom Herzog, demzufolge er
nicht zur Verantwortung gezogen werden durfte. Denn der Herzog brauchte
eben Geld, und niemand verstand es ihm zu schaffen wie der Finanzrat
Süß.
Obgleich der Herzog versprochen hatte, sich nicht
in die kirchlichen Dinge zu mischen, ließ er doch den Pfarrer
Kuhn von Zainingen als einen Pietisten, "der schon 7 Jahre dieser Gleißnerei
nachgehängt", auf den Hohenneuffen bringen, seine Frau ins Arbeitshaus
in Ludwigsburg und den Schultheißen und zwei Männer, die
sich hartnäckig gezeigt, zur Zwangsarbeit nach Neuffeu. Dann aber
bedrohte die Gewaltregierung des Herzogs auch den evangelischen Glauben
selbst. Im Widerspruch zu den von ihm unterschriebenen Religionsreversalien
suchte er der katholischen Religion Gleichberechtigung mit dem lutherischen
Glauben zu verschaffen. Sein vertrauter Ratgeber war der Fürstbischof
von Würzburg. Remchingen hatte die Offiziers= und Unteroffiziersstellen
möglichst mit Katholiken besetzt, und der Herzog hoffte, mit Hilfe
des Militärs die Landesverfassung umstürzen und die Religionsreversalien
abschaffen zu können. Remchingen fragte in einem Brief an den
Fürstbischof "das große Weltorakel", wann es Zeit sei, mit
dieser Katze durch den 3Bch zu fahren. Er riet zum Abwarten. Der Herzog
plante eine Reise. Im Lande gingen die ungeheuerlichsten Gerüchte:
19 000 Mann Würzburger Truppen stehen an der Grenze, ganze Wagen
mit Rosenkränzen seien in Ludwigsburg angekommen. Da wurde am
Abend des 12. März 1737 Karl Alexander im Schloß in Ludwigsburg
vom Schlag getroffen. Im Flecken war keine geringe Aufregung, als am
Morgen des 13. März die Kunde sich verbreitete, daß der
Herzog tot und der Jude Süß und zwei Expeditionsräte
verhaftet seien. Alle, die um die Sache des Evangeliums in Sorge gewesen
waren, sahen in dem Tod des Herzogs ein Gottesgericht, und das Konsistorium
mußte sich mißbilligend darüber aussprechen, daß in
Predigten allerlei anzügliche Expressionen gebraucht worden seien,
und ein strenges Verbot erlassen, bei der Gedächtnisfeier des
Durchlauchtigsten dürften irgend etwas Zweideutiges oder Anzügliches
verlauten zu lassen. Remchingen wurde auf den Asperg gebracht und der
Jude als Sündenbock zum Galgen verurteilt. J. J. Moser schreibt: "Seine
Kameraden, sowohl beschnittene als [pag152] ohnbeschnittene, die meistenteils ärgere
Schelmen als er sind, laufen als ehrliche Heute frei und ongestraft
herum." Da der älteste Sohn des Herzogs erst 9 Jahre alt war, übernahm
Herzog Karl Rudolf und 1738 Friedrich Karl die Vormundschaft. Ihm gelang
es, einen friedlichen Landtagsabschied zu erreichen. Die Herzoginwitwe
wurde Mitvormünderin. Die drei Prinzen, Karl Eugen, Ludwig Eugen
und Friedrich Eugen, wurden auf Betreiben des Geheimrats Bilfinger
zur Erziehung an den Hof Friedrichs des Großen geschickt. Eine
der vielen Beschwerden des Landtags war der Schaden, den die unglaubliche
Menge des Wildes dem Lande brachte. Obgleich in dem besonders harten
Winter 1731/32 20 000 Stück Schwarz- und Rotwild draufgegangen
waren und über 11 000 Hirsche und Rehe und 8000 Sauen 1737 abgeschossen
wurden, betrug doch der Wildschaden des folgenden Jahres noch 52 700
Gulden, und das Wild wurde so frech, daß die Weinberge in Stuttgart
unsicher wurden. Die Militaristen wurden etwas verringert und die Quartierlast
durch Erbauung von Kasernen erleichtert. Aber die Haften, die auf dem
armen Volk ruhten, waren immer noch viel zu schwer. Die Zahl der Bettelarmen
nahm immer zu. In unserem Ort gab man Blechlein aus als Anweisung zur
Unterstützung. Den Magistratspersonen aber wurde es zuviel, sie
einzulösen. Und als dann der Pfarrer dieses Geschäft übernahm,
wurde das Überlaufen so überschwenglich groß, daß er
die Austeilung des Almosengeldes dem Heiligenpfleger Kaspar Hammer übergab
gegen eine Erhöhung seiner Besoldung auf jährlich 10 Gulden
und das Versprechen, daß er im folgenden Jahr abgelöst werde.
Im Jahr 1738 gab es wenig, aber so ausbündig guten Wein, daß für
den Eimer 50 Gulden gezahlt wurden. 1739 aber wuchs so viel Wein, daß 12-15
Eimer auf den Margen kamen. Dagegen brachte das Jahr 1740 einen völligen
Fehlherbst, so daß die Kelter gar nicht geöffnet wurde.
Dazu kam Schaden durch Überschwemmung und durch einen außerordentlich
kalten Winter 1739. In diesem Jahr hat die Pockenseuche, die schon
Winter 1734/35 als ein Würgengel durch den Ort gegangen war und
erwachsene und Kinder hingerafft hatte, furchtbar im Flecken gehaust.
März und April sind allein 13 Kinder daran gestorben. Im Jahr
1741 ist der Kelter- und Amtmann Nikolaus David Le Bret, erst 43 Jahre
alt, der Gemeinde entrissen worden. Wie freundschaftlich er und seine
Frau sich zu den Dorfbewohnern gestellt haben, ist schon daraus zu
ersehen, daß die beiden in den letzten Jahren bei 11 hiesigen
Bürgern (Warth, Munk, Häberle, Haug, Schwarz, Keefer, Neff,
Dobelmann u. a.) neunzehnmal zu Gevatter gestanden sind. Le Brets Nachfolger
wurde 1742 Alexander Benedikt Krafft. Im gleichen Jahr ist das letzte
Glied der Organistenfamilie Diener, Jakob Diener, erst 35 Jahre alt,
gestorben, und die Orgel wurde nun dem Schulmeister anvertraut, der
einen Provisor halten sollte, welcher "der Orgel und dem Choral unklagbar
vorzustehen" imstande sei. Im Jahr 1743 wurde ein neues Gesangbuch
eingeführt, das 393 Lieder enthielt, 33 von Luther, 36 von P.
Gerhardt, 30 von württembergischen zum Teil noch lebenden Dichtern.
Auf Veranlassung des Konsistorialpräsidenten Bilfinger erließ der
hochfürstliche Synodus eine Generale betreffend die Pietisten,
die von Karl Alexander als Gleisner und schädliche Menschen geradeswegs
verfolgt worden waren, während Joh. Albr. Bengel für die
Privatversammlungen eintrat. Sie zu verbieten wäre, wie wenn man
den Leuten, die über Feld gehen, gebieten wollte, nicht miteinander,
sondern einen Büchsenschuß hintereinander zu gehen. Er verglich
die pietistischen Privatversammlungen mit einem Bienenschwarm, der
nicht verscheucht, sondern geschickt gefaßt werden müsse.
Der Synodus hat den Schwärm gefaßt und Pfarrern und gottesfürchtigen
Schulmeistern gestattet, Versammlungen zu halten, auch Privatpersonen
soll es gestattet sein, nur muß es dem Pfarrer angezeigt werden,
und Fremde dürfen nur in Anwesenheit des Pfarrers Vorträge
halten. Sonst sollen sie die Bibel und gute Bücher lesen und kurze
Bemerkungen dazu machen, aber nicht allerlei "neuhervorbrechende Gläublein
und Lieblingsmeinungen behandeln". Diese verständige und weitherzige
Anordnung ist dem ganzen Land und besonders auch unserer Gemeinde zum
Segen geworden und hat viel zum geistlichen Leben der Gemeinde beigetragen.
Ein liebliches Christgeschenk erhielt die Gemeinde in Gestalt eines
neuen Silbernen Krankenabendmahlgeschirrs. eine große Zahl Bürger
hat dazu beigesteuert mit großen und kleinen Gaben; die kleinste
war 7 1/2 Kreuzer von einem Kranken, [pag153] der bald darauf
gestorben ist. So hat sich frommer
Sinn
trotz aller Not und Armut noch betätigt zur Ehre Gottes und
zu der Kranken Trost und Heil.
Am 10. März 1744 hielt der junge Herzog Karl
Eugen unter dem Jubel der Bevölkerung seinen Einzug in Stuttgart.
Friedrich der Große hatte die vorzeitige Mündigerklärung
beim Kaiser durchgesetzt. Er hielt den Sechzehnjährigen für
fähig, sein Volk glücklich zu machen, und schärfte ihm
ein, daß er dazu bestimmt sei und daß nicht Württemberg
für ihn da sei, sondern er für sein Land. Und er versprach,
als ein rechtschaffener und wahrer Vater des Vaterlandes treuherzig
zu handeln. In den ersten Jahren, solange Männer wie Bilfinger,
Georgii und Joh. Jak. Moser seine Ratgeber waren, ging es auch ganz
gut. 1748 verheiratete er sich mit der jungen Elisabethe Friederike
Sophie von Brandenburg. Für den Einzug des jungen Paares wurde
daß Büchsentor neu aufgebaut, und Deputationen der Landschaft,
der Städte und Ämter brachten Glückwünsche und
Geschenke dar. Als Gegengeschenk wurde dem Volk ein 9 Zentner schwerer
Ochse gebraten und mit Hasen, Feldhühnern und Bratwürsten
gespickt, 6 gebratene Hammel und 2 Stunden lang weißer und roter
Wein aus zwei vergoldeten Meerpferden gespendet. Aber er tat auch manches
für das Wohl des Landes. In unserem Ort ist 1746 trotz aller Not
und Armut das Kirchbauwesen abgeschlossen worden. Es war eine unvermeidliche
Notwendigkeit. Das Dach des Glockenturms war schadhaft, die Uhr verderbt,
eine Seite der Kirchhofmauer am Zusammensinken. Unter den Beiträgen,
die die Gemeinde zu ihrem Bauwesen bekam, war der höchste mit
75 Gulden vom Kirchengut. Es wurde auch eine Kollekte in 10 Ämtern
verwilligt. Die Gemeinde hat auch in der Zeit höchster Bedrängnis
1732 für die baufällige Kirche in Obertürkheim und in
Uhlbach ihr Opfer dargebracht. Als die Außenarbeiten vollendet
waren, fand man, daß die Kirche auch innen eine Erneuerung nötig
habe. Die Wände sahen "vom eingefressenen Staub ganz finster und
rauchig aus", und die 21 Figuren von Aposteln und Propheten waren "fast
ausgelöscht". Um 100 Gulden und 5 Gulden Douceur (Trinkgeld) wurden
sie trotz der Einsprache des Pfarrers, der meinte, das Weißnen
genüge, [pag154] von einem Eßlinger Flachmaler wiederhergestellt.
(1911 haben wir vergeblich danach gefahndet.) Die Arbeit wurde auch
fortgesetzt, trotzdem daß am 4. Juli 1745 der Ort von einem formidablen
Hagelwetter heimgesucht wurde. Die Kollekte in den 10 Ämtern ergab
170 Gulden.
Als der seit 40 Jahren das Schulamt versehende Schulmeister
Josias Schindler einen Amtsgehilfen brauchte, schlug er den Bräutigam
seiner Tochter Jakob Baltz vor, der schon bisher als Provisor hier
gearbeitet und von Fellbach die besten Zeugnisse mitgebracht hatte.
Er zeichnete sich besonders in Vokal- und Instrumentalmusik aus, tätigte
eine ganze Anzahl von Instrumenten geschickt zu traktieren und hatte
zudem etwas Lateinisch gelernt, "so heutzutage bei einem qualifizierten
Schulmeister ein nötiges Requisitum ist". Da er auch in seinem
Wandel das beste Lob hatte, so wurde nach vorhergegangener Examination
und Probe in der Kirche zur Wahl geschritten. Und auf die einstimmige
Wahl, die untertänigst einberichtet wurde, ist die Konfirmation
gnädigst erfolgt. Der vierundsechzigjährige Schwiegervater
durfte sich nicht lange der Hilfe freuen. Am 15. März 1747 ist
er nach zweiundvierzigjährigem Schuldienst gestorben. Baltz aber
war offenbar zu musikalisch. Bei der Visitation im November 1747 mußte
er sich fragen lassen, er solle sich nicht sowohl auf die Musik als
vielmehr auf die Schule applizieren, nicht aus der Schule laufen wegen
irgend einer Kleinigkeit, gute Provisoren halten und nicht oft mit
denselben wechseln, auch als Mesner winters pünktlich 1/2 6 Uhr
den Tag anläuten.
Der Gassenbettel wurde ganz unerträglich, und
die Gemeinde mußte wieder einen Bettelvogt anstellen. Friedrich
Schönhaar ließ sich zur Übernahme dieses dornenvollen
Amtes bestimmen; aber er überließ das Geschäft seinem
Weib, die alles laufen ließ, und so schaffte man ihn wieder ab.
Von Stuttgart und Eßlingen war Klage gekommen über das Auslaufen
hiesiger Bettler, und man verbot ihnen das auswärtige Betteln
bei Strafe des Zuchthauses" (Ortsarrest). Aber weil nun eben die 6
Kreuzer, die der Heilige für die Woche verwilligte, nicht reichten,
mußte man wohl oder übel den Armen gestatten, dreimal wöchentlich
vor den Häusern ein Stücklein Brot zu heischen. Die Jahre
1747 und 1748 waren wieder rechte Sterbejahre; 20 Kinder starben an
den Pocken, andere an Friesel und roter Sucht, über 20 Gemeindeglieder
hat ein hitziges Fieber weggerafft. Bei den Adeligen kam in jener Zeit
die Sitte auf, Leichenbegängnisse bei Nacht zu halten. So ist
eine Frau von Kaltenthal, geborene von Zobeldiz, deren Vater hier wohnte,
nachts "bei einer Ansprache und Vokal- und Instrumentalmusik" begraben
worden. "Um der Einfachheit willen" wurden aber auch Arme bei Nacht
begraben. Im November 1749 starb mit 67 Jahren der fürstliche
Keller- und Amtmann Benedikt Alexander Krafft. Er wurde auch bei Nacht
mit einer Ansprache begraben. Sein Nachfolger wurde Johann Andreas
Wolff. Einen jähen Tod fand der rechtschaffene und fromme Johannes
Schmauk. Er hatte am Morgen andächtig mit den Seinen gebetet und
wollte dann Türkenkornabzuglaub (Welschkornfedern) auf den oberen
Boden der Scheune hinaufziehen. Da brach ein Brett und er fiel so unglücklich,
daß er nach wenigen Stunden tot war.
Nachdem im Jahr 1740 dem Herzog von der Landschaft
zur Erleichterung der Quartierlasten eine weitere Kaserne gebaut worden
war, hat Serenissimus diese Kaserne zu dem neuen Schloß, dessen
Grundstein er 1746 gelegt hatte, gezogen. Und nun wurden die Soldaten
wieder in Bürgerquartiere gelegt, und zwar mit Weib und Kind und
voller Verpflegung, weil es den Herzog so am billigsten kam. Daß die
Last für die Untertanen so am größten war, kümmerte
ihn nicht. Eine unerträgliche Belastung bringt das Wild. Mit kleinen
Hunden, die mit Bengeln am Laufen und mit Maulkörben am Beißen
gehindert sind, darf man das Wild verscheuchen. Wenn Sie aber der Förster
im Wald antrifft, darf er sie abschießen. Noch mehr Schaden als
das Wild machen die herzoglichen Jagden mit ihren Quartieren, Fronen
und Treiberdiensten. Im Jahr 1749 mußte sich der Herzog vom Ausschuß der
Landschaft sagen lassen, man habe schon zu oft erfahren, daß die
gnädigsten Promessen (Versprechungen) nachher nicht gehalten werden.
Er hatte sich entsprechend den Religionsreversalien verpflichtet, den
katholischen Gottesdienst auf die Hofkapelle zu beschränken. In
diesem Jahr aber hielt er Fronleichnamsprozession mit höchstem
Pomp in dem an der Straße gelegenen Schloßhof. Die Glocken
läuteten, die Kanonen donnerten, und die evangelischen Soldaten
mußten Salven abfeuern.
[pag155] 1751 mußte an zwei Sonntagen nacheinander
der Gemeinde das Hochfürstliche Trauerreglement promulgiert werden.
Dasselbe bestimmt aufs genaueste die Trauerzeit und die Trauerkleidung
wie die Beerdigung. Das Führen deren Weibspersonen in Kutschen
blieb in der fünften und sechsten Klasse, die für unsern
Ort in Betracht kam, gänzlich abgestellt, ebenso das Singen. Doch
konnte beim Oberamt Dispens nachgesucht werden. Da das Geläute
hier öfter eine ganze Stunde dauerte, was "für die Glocken
gefährlich und für die kostbaren Seiler schädlich" ist,
wurden auch dafür bestimmte Anordnungen gegeben. Die Totenkränzlen
und die Abgabe eines Trauerkleides an das Gesinde soll bei 10 Gulden
Strafe allen Ernstes verboten sein. Für die Untertanen wurde alles
streng geordnet. Der "Landesvater" selbst aber führte "ein wahrhaft
galoppartiges Leben", ließ seinen Launen unbeschränkt die
Zügel Schießen in wildester Sinnlichkeit und unerhörter
Verschwendung. Das Jahr 1753 hatte Frühfrost, Hagel und Dürre
gebracht und das folgende wenig und sauren Wein. Der Untertürkheimer
Heilige war fast nicht imstande, seinen Verpflichtungen nachzukommen.
1756 ruinierte ein fürchterlicher Sturmwind das Kirchendach derart,
daß man den Schieferdecker von Stuttgart kommen lassen mußte.
Die Ausstände des Heiligen, der 78 Schuldner hatte, gingen zu
einem großen Teil nicht ein, obgleich ein Mal übers andere
ein Hochfürstlicher Befehl erging, daß "die Eintreibung
der Heiligenrester mit allem Ernst zu urgieren" sei. Als der Siebenjährige
Krieg ausbrach, stellte sich der Herzog gegen seinen väterlichen
Freund auf die kaiserliche Seite; und um ein selbständiges Kommando
führen zu dürfen, verpflichtete er sich, ein Heer von 16
000 Manu aufzustellen. Dieses Heer brachte sein Geheimer Kriegsrat
Phil. Friedr. Rieger zusammen. Gegen alles Landesrecht veranstaltete
er Zwangsaushebungen der über 18 Jahre alten Tauglichen. Witwensöhne,
Burschen, die die einzige Stütze alter Eltern waren, wurden genommen
aus der Werkstatt, vom Pflug weg. Sonntags wurden die Kirchen umstellt,
um Taugliche abzufangen. Die so zusammengetriebene Mannschaft machte
dann schon vor der Rotebühlkaserne einen Krawall, und auf dem
Marsch gab es bei Geislingen eine richtige Revolte. Sie wollten nicht
gegen den evangelischen Preußenkönig kämpfen. Die Meuterei
wurde unterdrückt und 16 Rädelsführer erschossen. Aber
bei Lenthen? zählte das Korps neben 134 Toten und 160 Verwundeten
1832 Vermißte, die während der Schlacht desertiert waren.
Nun mußte alle vier Wochen das Deserteurattrapierungsreskript
von der Kanzel verlesen, und, als das preußische Heer sich dem
Lande näherte, ein "expresser Gottesdienst" gehalten werden, um
die zum Schutz des Vaterlandes getroffenen Hochfürstlichen Verordnungen "auf
eine liebreiche Art" den Untertanen zu erklären. Im Jahr 1757
hatte der Herzog den vom Kaiser empfohlenen prachtliebenden und habsüchtigen
Montmartin zu seinem ersten Minister gemacht, der die Kunst besaß,
mehr zu scheinen, als er war, und den Herzog bei seinem gesetzwidrigen
Treiben unterstützte, den Ständen aber erklärte, daß sie
die Forderungen des Herzogs als unbedingte Befehle anzusehen haben.
Es gab nun neue Zwangsaushebungen, und um das nötige Geld zu bekommen,
wurde nicht bloß Tabak- und Salzmonopol eingeführt, sondern
auch Steuern eingetrieben, die nicht bewilligt waren, und die Landschaftskasse
mit Gewalt geleert. Als aber der Landschaftskonsulent Joh. Jak. Moser
pflichtmäßig diesem gesetzwidrigen Treiben mutig entgegentrat,
wurde er nach Ludwigsburg zitiert und vom Herzog wegen seiner "Respekt=
und ehrenrührigen Schriften" auf den Hohentwiel geschickt. Mit
den 12 000 Mann, die ihm Rieger wieder zusammengetrieben hatte, erntete
der Herzog wenig Ruhm. 1759 wurde er, als er eben im Feld einen Ball
veranstalten wollte, überfallen, und das Jahr darauf wurden ihm
von seinem eigenen Bruder Friedrich Eugen 600 Jäger weggeschnappt.
Im Oktober wurde sein Heer mit großen Verlusten zum Rückzug
gezwungen. So entkleidete ihm das Kriegführen, und er kehrte 1761
in sein Land zurück, um nun hier Soldätles zu spielen. Sein
Heer hat er nicht entlassen, sondern bei Oßweil ein großes
Lustkampement bezogen. ein ganzes Zeltdorf brauchte Serenissimus für
sich allein: Wohnzelt, Schlafzelt, Ankleidezelt, Zelte für Garderobe,
Audienz u. a. - Und das alles, obgleich gerade die Jahre 1761 und 1762
eigentliche Mißjahre waren, die eine geringe Ernte an Korn und
Obst und Wein brachten. Auch das folgende Jahr 1763 zeitigte "wenig
und sehr schlechten Wein, den man nur mit Obstmost trinken konnte".
So mußten sich die Steuerrückstände mehren, die [pag156]
die Gemeinden bei den Amtspflegen hatten. Der Herzog aber befahl, diese
Rückstände rücksichtslos einzutreiben. Und es wurde
nun der reinste Beutezug veranstaltet; sogar die auf herzoglichen Befehl
für Zeiten der Teuerung gesammelten Kommunfruchtvorräte wurden
angegriffen. Den Ertrag dieses Beutezugs verwendete der Herzog für
seine Zwecke. Oberst Rieger, der dabei eifrig mitgeholfen hatte, wurde
von Montmartin verleumdet, und der Herzog riß ihm November 1762
auf der Parade seine Orden herunter, stieß ihn mit dem Stock
auf die Brust und schrie: „Fort mit dem schlechten Kerl auf
den Asperg!" In dem ehemaligen preußischen Unteroffizier Wittleder,
den er zum Direktor des Kirchenguts machte, fand er dann einen anderen
dienstwilligen Gehilfen. er hat ihm eine halbe Million Gulden aus dem
Kirchengut abgeliefert und hat dem Herzog und sich selbst reiche Einnahmen
verschafft durch Einführung des Diensthandels und Einrichtung
einer gnädigst privilegierten Lotterie. Als der Oberamtmann von
Waiblingen wagte, von der blutigen Armut der Untertanen zu reden, wurde
er wegen ungebührlicher und unanständiger Ausdrücke
um 100 Dukaten gestraft (1 Eimer Wein kostete damals 4—5 Dukaten).
Und als der Regierungsrat Huber in Tübingen dem ungeheuerlichen
Steuerplan des Herzogs widersprach und vom Wohl des Vaterlandes redete,
brauste der Herzog auf: „Was Vaterland! Ich bin das Vaterland!" und
schickte Huber für 6 Monate auf den Asperg. Seinen Geburtstag
feierte er 1763 mit ganz unerhörter Pracht. Dem Pöbel wurde
massenhaft gebratenes Fleisch und Wein aus zwei Springbrunnen preisgegeben,
und er empfing diese Gabe mit Freudengeschrei. Am siebten Tag des Festes
wurde in Ludwigsburg nach der Festtafel, an der es mehr als üppig
herging, mit einem Feuerwerk der Schluß gemacht, bei dem allein
14 000, Raketen abgeschossen wurden. Dann kam erst noch ein Lustjagen,
für das die armen, geplagten Untertanen schon seit Monaten hatten
fronen müssen. Von allen Ämtern des Landes mußten mehr
als 5000 Stück Wild, darunter Wildschweine, Füchse und Dachse,
in Käfigen nach Degerloch geliefert werden, um dann in den extra
dazu gegrabenen See getrieben und dort von den Herrschaften abgeschossen
zu werden. Das Prachtfest in Ludwigsburg hat allein schon etwa 400
000 Gulden gekostet. Hält man dagegen, daß die armen Weiblein
mit 6 Kreuzer in der Woche, also 5—6 Gulden im Jahr sich begnügen
mußten, so mag man einen Begriff bekommen von dem Maß der
Verschwendung auf Kosten der Armen und Ärmsten. Die Württemberger
mußten für die Verschwendungssucht ihres Herzogs beinahe
so viel Steuer pro Kopf zahlen wie die Preußen, die sich gegen
eine Welt von Feinden in Siebenjährigem Krieg zu wehren hatten.
Zu dieser Verschwendungssucht gehörten auch die Ausgaben für
ein Heer, das in den Kasernen nicht Platz hatte und so jahraus, jahrein
den Bürgern die schwersten Quartierlasten verursachte. Mit Weib
und Kindern lagen sie hier. 1762 sind vier Soldatenkinder und eine
Hauptmannsfrau hier beerdigt worden. Und dann mußte an drei Sonntagen
für die Erbauung einer Garnisonkirche in Ludwigsburg geopfert
werden. Und doch hätten die Untertürkheimer das Geld so nötig
gehabt für die eigene Kirche. 1763 ist die dritte Glocke zersprungen
und mußte mit einem Aufwand von 100 Gulden umgegossen werden.
Am vierten Sonntag nach Trinitatis starb Pfarrer Magister Joachim Ludwig
Neuffer, 68 Jahre alt, nachdem er 28 Jahre lang das hiesige Amt treu
geführt hafte. Am 10. November zog sein Nachfolger, Magister Christoph
Friedrich Wölffing auf, empfangen von Keller- und Amtmann Wolff,
den drei Bürgermeistern Johann Dobelmann, Gottlieb Koch und Konrad
Schindler und dem Heiligenpfleger Johann Moritz Zaiß. Er hatte
sich seiner guten Qualitäten und geistlichen Eifers halben bei
dem Hochwürdigen Domkapitel zu Konstanz besonders rekommandiert
und hat die erfolgte Nomination sogleich Herzoglicher Durchlaucht nicht
nur „untertänigst überreicht, als besonders auch die
Sache zu fernerer höchster faveur (Gunst) demütigst anbefohlen" und
gebeten, Durchlaucht möchte ihn nun gnädigst konfirmieren
und investieren. „Der ich mich Eurer Durchlaucht Gnade erlasse
und in submissestem Respekt versterbe untertänigster gehorsamster
M. Wölffing." Er kam in eine rechte Krankheits- und Sterbezeit
hinein. Im Jahr 1763 sind 88 Gemeindeglieder gestorben, mehr als die
Hälfte an Pocken, Ruhr und hitzigem Fieber, und im Jahr 1764 ist
das Sterben fortgegangen. Mehr als die Hälfte der Gestorbenen
waren kleine Kinder. Es waren eben drei schlechte Jahre vorhergegangen.
[pag157] Nachdem der Herzog von 1758 bis 1764 seinen
getreuen Untertanen beinahe 10 Millionen Gulden an Steuern abgepreßt
hatte, wurde eine allgemeine Vermögens- und Schutzsteuer aufgebracht.
Und als die Stadt Stuttgart untertänigst darum einkam, daß sie
mit der neuen Steuer verschont bleiben möchte, wurde der Herzog
so wütend, daß er im Oktober den Sitz des Hofes nach
Ludwigsburg verlegte zum großen Jammer der Hausbesitzer und Geschäftsleute.
Die Stände aber erhoben nun Klage beim Kaiser. Am 2. Juni 1766
ist endlich wieder der Landtag eröffnet worden, und der Herzog
schlug eine gemeinsame Vergleichsdeputation vor. Montmartin wurde mit
4000 Gulden Ruhegehalt entlassen, hatte aber bis 1773 noch das Ohr
des Herzogs. Ebenso wurde der Blutsauger Wittleder fortgeschickt.
Die
Armut der ausgesogenen Bevölkerung machte
sich auch hier auf allerlei Weise geltend. Schuljahr 1765/66 fehlten
24 Schüler, einer 53 Tage. Aber immer wieder war die Entschuldigung,
die äußerste Not habe sie getrieben, die Kinder daheim zu
behalten. Die Schuldner des Herzogs konnten keinen Zins zahlen. Einer
war von 58 Gulden Kapital 47 Gulden Zins schuldig. Dem Schulmeister
Baltz mußte die Gebühr für eine Trauung und 12 Gulden
rückständiges Schulgeld aus dem Heiligen ersetzt werden,
weil die Eltern „bitter und bettelarm" waren. Die Gesuche um
Unterstützung mehrten sich fortwährend. Für gewöhnlich
wurden 6 Kreuzer in der Woche gereicht, bei schwereren Fällen
9 oder 10, bei besonders „elenden Umständen" auch 12. Nachdem
1765 wieder einmal ein gutes Weinjahr gewesen war, kam eine Reihe von
geringen Jahren bis dann das Jahr 1770 eine eigentliche Mißernte
brachte, die eine schwere Teuerung zur Folge hatte. Die Ausfuhr von
Kartoffeln, die schon in ziemlichem Umfang angebaut wurden, mußte
verboten und die Fruchtkästen, wo sie nicht geleert waren, mußten
geöffnet werden. Die Leute haben sich „sauer und kümmerlich
ernährt, Brennessel und „Schürtelen" und andere unmenschliche
Speise gekocht und gegessen". Das Glöcklensgeld ging nicht mehr
ein; um des frequenten Gassenbettels willen wollten die Leute nichts
mehr zahlen, da überdies die Ortsarmen wöchentlich ein- bis
zweimal sammelten. Man vertröstete sich damit, daß nach
dem nächsten guten Herbst das Glöcklensgeld wieder eingezogen
werden solle, und bemühte sich darum, daß in den Wirtshäusern
die Schwörbüchsen nicht fehlen; die Wirte waren verpflichtet,
bei den Gästen, die sich mit Fluchen und Schwören vergingen,
15 Kreuzer einzuziehen für die [pag158] Büchse. Obgleich
das Jahr 1772 wieder viel Wein gebracht hatte, wollten doch die Ausstände
nicht eingeben, und im Jahr 1774 meldete der Heiligenpfleger, daß seine
Kasse so erschöpft sei, daß er nicht einmal das wöchentliche
Almosen auszahlen könne, weil manche Schuldner mit dem Zins von
2-3 Jahren im Rückstand seien. Daraufhin wurde beschlossen, solchen
morosis die exekution einzulegen. Und wirklich war nach dem Herbst
die Kasse wieder so gestellt, daß sogar Anlehen von 25-60 Gulden
verwilligt werden konnten.
Für die Schule stellte Schulmeister Baltz zwei
Provisoren ein, den einen bloß für den Winter. Der eine
war ein Bürgersohn Philipp Jakob Warth. Die Konfirmation und Schulentlassung
durfte nicht vor dem vollendeten vierzehnten Jahr stattfinden, dafür
sollte außer an Quasimodogeniti noch am letzten Sonntag des Kirchenjahrs
eine Konfirmation gehalten werden. Der Schuleintritt fand, wie schon
1729 bestimmt worden war, mit dem sechsten Jahr statt.
Durch den im Jahr 1770 mit den Ständen abgeschlossenen
Erbvergleich sollten die alten Rechte wiederhergestellt, das Kirchengut
gesichert und die Schuldentilgung geregelt und für das Militär
nicht mehr als 460 000 Gulden im Jahr verwilligt, auch alles in Kasernen
untergebracht werben. Die Stände mußten freilich schon im
folgenden Jahr die alte Klage erheben, daß Serenissimus seine
Versprechungen nicht halte. Auch die Einschränkung der Gewalt
und Eigenmächtigkeit des engeren Ausschusses gelang nicht. Moser
mußte aus dem Gefängnis entlassen werden, aber der engere
Ausschuß berief ihn nicht mehr in sein Amt. Er hätte der
willkürlichen Verwaltung der „geheimen Truhe" hinderlich
sein können. Durch die Verlegung des Hofes nach Ludwigsburg kam
die Residenzstadt sichtlich herunter. Kehrichthaufen konnte man vor
den Häusern liegen sehen, und an den Gossen, die sich durch die
Mitte der Straßen zogen, schnatterten Enten und Gänse. Sonst
wurde die ländliche Stille der Hauptstadt nur noch durch die brüllenden
Viehherden unterbrochen, wenn sie der Hirte von der Weide heimtrieb.
1775 ließ endlich Serenissimus wieder der Stadt die Sonne seiner
Gnade leuchten. Im Mai kehrte der Hof nach Stuttgart zurück. Am
18. November zog der Herzog an der Spitze der B0 Zöglinge der
Karlsschule, die bisher auf der Solitüde untergebracht waren,
in der Stadt ein. Und nun wandelte sich Stuttgart wieder. In den sauber
gehaltenen Straßen spazierten Kavaliere in goldstrotzenden Gewändern,
und elegante Hofdamen wurden in Sänften getragen, und die über
den Straßen hängenden Laternen wurden regelmäßig
angezündet.
Im Jahr 1775 ist Johann Jakob Baltz, der 29 Jahre
lang den Dienst hier versehen hatte, erst 50 Jahre alt, an der schwarzen
Gelb- und Wassersucht gestorben und an seine Stelle der Kollaborator
Schönlein gewählt worden. Bei der Visitation durch Spezialsuperintendent
Jäger wurde auf Abstellung der zahlreichen Schulversäumnisse
gedrungen, auch festgestellt, daß das Rechnen bei Knaben und
Mägdlein als etwas Notwendiges in Gang gebracht werden müsse.
ein Vater, der in die Schule eingedrungen war und sich ungebührlich
aufgeführt hatte, weil sein Bube vom Lehrer gezüchtigt worden
war, wurde mit einer kleinen Frevel-Herrschaftstrafe, 3 Gulden 15 Kreuzer,
angesehen und dazu verurteilt, dem Schulmeister Abbitte zu tun.
Nachdem der Herzog 1776 drei Regimenter zu Fuß aufgehoben,
auch sein Fürstenwort gegeben hatte, daß dem Diensthandel
ein Ende gemacht werden solle, kam mit seinem Geburtstag, dem 11. Februar
1778, der Tag der Umkehr. Von allen Kanzeln mußte ein Manifest
verlesen werden, in dem der Herzog bekannte, daß vieles geschehen
sei, das nicht hätte geschehen sollen, daß aber von diesem
Tag an, als seinem zweiten Geburtstag, Württembergs Glückseligkeit
sein einziges Bestreben sein solle; die Untertanen aber sollen ihrem
Landesvater mit allem Zutrauen und Gehorsam entgegenkommen. „So
muß es Württemberg wohl gehen." Diese Wendung der Stimmung
und Gesinnung des Herzogs war nicht sowohl den Klagen der Stände
als vielmehr dem Stillen Einfluß seiner Franzel zu danken. Franziska,
geschiedene Freifrau von Leutrum, war vom Kaiser Joseph II. zur Reichsgräfin
von Hohenheim ernannt worden. Und mit ihr lebte der Herzog in Hohenheim
fast ohne Hofstaat. Sie war eine fleißige Kirchgängerin,
in Birkach hat ihr der Herzog eine Kirche gebaut. Weil aber des Herzogs
Gemahlin Friederike noch lebte, war Franziska zu ihrem großen
Schmerz vom Abendmahl ausgeschlossen. 1780 starb die Herzogin die seit
1756 außerhalb des Landes gelebt hatte, und die Landschaft bot
dem Herzog ein [pag159] jährliches Geschenk von 50 000 Gulden
an, wenn er keine Österreichische Prinzessin heirate. Aber die
Heirat mit Franzel wurde vom Papst nicht gestattet, weil Sie eine geschiedene
Protestantin war. Erst 1785 ließ sich dann der Herzog vom Hofprediger
im Neuen Schloß trauen und kam nachträglich beim Papst um
Dispens ein, der allerdings erst 1791 gewährt wurde. Franziska
aber durfte nun als eheliches Gemahl am 27. März 1785 zum erstenmal
wieder in ihrer Kirche in Birkach mit der Gemeinde zu Gottes Tisch
treten. Und die treugesinnten Untertanen freuten sich von Herzen der
regierenden Frau Herzogin, deren Leutseligkeit und Milde schon längst
alle Herzen mit dankbarer Liebe erfüllt hatte.
Die Zeiten waren freilich auch jetzt noch schwer trotz
aller landesväterlichen Fürsorge, die eben manchmal auch
versagte. So war in den vierziger Jahren das Mühlwehr beim Berger
Wasserhaus, um der herrschaftlichen Mühle ein möglichst starkes
Gefäll zu verschassen, „ohne Ziel und Maß" erhöht
worden, und doch wurde das die Hauptursache der zerstörenden Hochwasser
und bei Eisgängen besonders verderblich, denn der Neckar hatte
von der Untertürkheimer Brücke an fast kein Gefäll mehr.
Als es aber nun 1770 durch Hochwasser weggerissen wurde, hat man es
in derselben Höbe wieder aufgebaut, und 1787 hat die Gemeinde
Untertürkheim um Entlastung von dem "Beitrag von 14 093 Kreuzer
für die beabsichtigte Neckarkorrektion, „deren Genuß fast
ausschließlich der Herrschaft zugut komme". Zu den Überschwemmungen,
die eine um die andere der Gemeinde schwere Not und großen Schaden
brachten, kamen immer wieder Seuchen, vor allem die Pocken, 1780 das
hitzige Gallen- und Faulfieber, das schon im Vorjahr 13 Opfer gefordert
hatte. Von den für die Bekämpfung dieser Seuchen aufgewendeten
408 Gulden hatte die Gemeinde ein Drittel zu zahlen. Der Versuch, sich
von den einzelnen die Kosten ersetzen zu lassen, gelang bei 13 Bürgern,
die nur 12 bis 40 Kreuzer zu zahlen hatten. Dagegen erklärte einer,
der 14 Gulden 4 Kreuzer hätte zahlen sollen, seine völlige
Zahlungsunfähigkeit, und einer, der 3 Gulden schuldig war, zahlte
45 Kreuzer, also dreiviertel Gulden, so gingen statt 136 Gulden, 26
ein. Es gab eben schon damals nichts Widerwärtigeres als das Zahlenmüssen.
Das mußte der geplagte Heiligenpfleger besonders beim Einzug
des Glöcklensgeldes immer wieder erfahren. 1782 hatte man die
Bürgerschaft vorgefordert und jeden um seinen freiwilligen Beitrag
befragt, ihn „zur Billigkeit erinnert und zu einem mehreren nach
Proportion des Vermögens angefrischt". Aber wenn dann der Heiligenpfleger
kam, hatte einer kein Geld, und wenn es sich nur um 3 Heller oder 1
Kreuzer handelte, und ein anderer behauptete, schon gezahlt zu haben.
1767 hat Pfarrer Wölffing sich an der Landstraße
unter der Kirche ein eigenes Haus über der Fleckenschmiede (daher
die feuersichere Waschküche) erbaut. Das nach dem Brand 1693 wieder
aufgebaute Pfarrhaus war in schlechtem Stand und der konstanzische
Oberpfleger in Eßlingen ließ nicht das geringste ausbessern.
Nach umständlichen Verhandlungen wurde 1783 ein Kaufbrief ausgefertigt,
und das Domstift erklärte sich bereit, das von Wölffing erkaufte
Haus an Stelle des alten ruinösen Pfarrhauses der Pfarrei zu überlassen,
und der Hohe Kirchenrat fand nichts „dawider zu exzipieren",
da nach Ausweis des Augenscheins die Pfarrei nach allen Teilen bei
diesem Tausch wohl gefahren sei.
1777 standen die Weinberge schön, aber am 20.
Oktober, als man zu lesen anfing, sind die Trauben steinhart gefroren,
so gab es wohl einen sehr guten Wein, aber wenig. Dagegen hat es in
den Jahren 1780, 1781 und 1783 viel und sehr guten Wein gegeben. Der
Winter 1784/85 aber war sehr hart, so daß 30 Bürger wegen
Holzmangels um ein Anlehen beim Heiligen einkamen mit dem Versprechen,
es im Frühjahr heimzuzahlen. Man mußte dann freilich bis
zum Herbst warten, weil den Sommer über der Verdienst zu gering
war. Im Jahr 1786 ist dann endlich auch die Reparatur des Kirchhofs,
der Kirche und des Kirchturms zustande gekommen. Schon 1777 hat man
darüber verhandelt, 1779 wurde festgestellt, daß die Kirchhoftüren
eine Reparation benötigen. Jahr um Jahr stellten sich neue Schäden
heraus am Kirchturmdach, aber auch an den Kirchenstühlen. Und
als dann 1782 ein Bauüberschlag eingereicht wurde, war im April
1785 noch keine Resolution erfolgt. Endlich, am 10. Mai 1786, konnte
mit dem Umdecken des Kirchendachs, wo es überall hereinregnete,
begonnen werden.[pag160] Und als dann auch die im Dezember 178S zersprungene
Sturmglocke umgegossen war, konnte man am Ende des Jahres sich freuen,
daß das Geläute wieder vollständig und die Kirche vor
Sturm und Regen gesichert war.
Karl Herzog hat seinem Volk Glück und Heil verheißen,
und es ist in der zweiten Hälfte seiner Regierung wirklich viel
zum Wohl des Landes geschehen. Es wurden Kunstsstraßen gebaut
zu einer Zeit, da andere Länder uns darum beneideten. An den Rändern
der Straßen wurden Obstbäume gepflanzt, wie überhaupt
der Obstbau namentlich auf den Allmanden sehr gefördert wurde.
Bis zum Jahr 1784 war die Schiffbarmachung des Neckars bis Cannstatt
vollendet und in Cannstatt ein Kranen aufgestellt. Die Neckarschiffe
waren auch zur Aufnahme von Reisenden eingerichtet. Sümpfe und
Moore wurden in fruchtbares Land verwandelt, das Brachfeld wurde nicht
mehr brach liegen gelassen, sondern gedüngt und mit Kartoffeln
bepflanzt, deren Anbau gefördert und immer allgemeiner wurde.
Man lernte Klee unter die Gerste säen und so das Brachfeld anblümen.
Durch den Bau von Futterkräutern wurde die Stallfütterung
erleichtert und der nötige Dung gewonnen. Auf sorgfältigen
Bau der Weinberge und gute Behandlung des Weines wurde mit allem Nachdruck
gedrungen, Anbau schlechter Sorten, wie Putscheren, verboten, ebenso
das Vermischen des Weins mit Obstmost. Die Bütten sollten bei
Regen bedeckt und nicht etwa unter die Dachtraufe gestellt werden.
Nachdem in der ersten Zeit seiner Regierung die Wälder grausam
verwüstet worden waren, legte der Herzog jetzt großen Wert
auf sorgfältige Aufforstung. Die Landwirtschaftliche Hochschule
in Hohenheim bildete auch Forstleute heran. Aber auch die Industrie
suchte er zu fördern. In Ludwigsburg begründete er eine Porzellanfabrik,
die sich einen guten Namen erwarb. Die Ausfuhr nahm so zu, daß sie
die Einfuhr von 2 Millionen Gulden im Jahr um 1 Million, also um die
Hälfte, übertraf. Im Jahr 1762 betrug die Einwohnerzahl des
Landes 473 000; 1790 aber 610 000 Seelen. Dabei waren freilich allerlei
Schäden scheinbar nicht auszurotten, trotz aller guten Vorsätze
und Versprechungen. Die Landwirtschaft litt fortgesetzt unter der unglaublichen
Menge des Wildes. Obgleich 1790 etwa 12 000 Stück Rotwild, Schwarzwild
und Hasen abgeschossen wurden und in den kalten Wintern noch mehr zuschanden
gegangen waren, wurde doch die Ernte des Jahres vom Wild zerfressen
und zertreten. Im folgenden Jahr erging dann der Befehl, das schädlichste
Wild, die Säue, ganz abzuschießen. Ein anderer Landschaden
war der Ämterhandel, der eben Geld einbrachte, und der Herzog
brauchte fortgesetzt für seine Liebhabereien, Bauten und Gründungen
Unsummen. So hat er denn 1786 ein Regiment Soldaten an die Holländisch-Ostindische
Kompanie verkauft. Der Dichter Schubart, den der Herzog mit Hinterlist
gefangen und jahrelang auf dem Asperg eingekerkert hatte, hat ihnen
jenes Lied gedichtet: „Auf, auf, ihr Brüder, und seid stark,
der Abschiedstag ist da." Um das geistige Leben seines Volkes hat Karl
Herzog sich entschiedene Verdienste erworben: die Landesbibliothek
begründet, das Schulwesen gefördert. Württemberg stand
in jener Zeit an der Spitze unter den deutschen Ländern. Seine
Lieblingsgründung war die Karlsschule, bei der sich in eigentümlicher
Weise seine landesväterliche Güte mit seinem Despotismus
vereinigte, wir dürfen nur an Schiller denken. Im Sommer 1791
wurde für die evangelische Kirche ein neues Gesangbuch eingeführt,
das, echt rationalistisch, «die natürliche Sprache der Empfindung
und des gemeinen, gesunden Menschenverstandes und den Ausdruck der
sanften Andacht" in den Liedern bevorzugte. So wurden viele der alten
Lieder weggelassen, andere umgearbeitet und neue aufgenommen, die „die
richtigen herzerhebenden Religionslehren in ihrer eigentümlichen
Gestalt und Kraft darstellen und gottselige Gesinnungen und freiwillige
Entschließungen zum Glauben und Gehorsam gegen Gott zu erwecken
vermögen". Das Gesangbuch, so wohlgemeint es war, fand viele Widersacher
selbst unter den Vorgesetzten. Es sollte aber keinerlei Zwang gebraucht,
sondern mit aller Mäßigung und Klugheit vorgegangen werden;
besonders aber sollte man sich bemühen, die Jugend daran zu gewöhnen.
Dementsprechend wurde im hiesigen Kirchenkonvent „in untertänigster
Befolgung des gnädigsten Befehls" beschlossen, 40 Gesangbücher
in Leder gebunden zu 48 Kreuzer zu befreiten und unter die Schuljugend
auszuteilen. (Ich habe hier noch eine alte Frau gekannt, die die Gesangbuchverse
nach diesem Gesangbuch anzuführen pflegte.) So [pag161] hat „bei
stillen ordnungsliebenden und für das Gute empfänglichen
Gemeinden das Gesangbuch erwünschten und ruhigen Eingang gefunden".
Eine Rede, in der die Aufhebung der Glaubensunterschiede in der Karlsschule
gerühmt wurde, weil dadurch der schädliche Parteigeist, die
nichtswürdigen Zänkereien und die Unduldsamkeit in der Geburt
erstickt und Friede und verträgliche Leute herangebildet werden,
erregte bei Prälaten und Landesausschuß großes Ärgernis.
Schon länger hatte der Herzog gekränkelt.
1791 war er zwar noch einmal in Paris, mußte aber die dreifarbige
Kokarde tragen, die er dann bei Straßburg in den Rhein warf,
und in seinem Lande verhängte er strenge Zensur über die
Zeitungen (Oktober 1786 erschien die erste Nummer des Schwäbischen
Merkur). Den Franzosen gegenüber wollte er strenge Neutralität
wahren. An seinem Geburtstag 1793 wurden die Gemeinden aufgefordert,
um Erhaltung des kostbaren Lebens und der Gesundheit des Landesvaters
Gott anzurufen. Aber am 22. Oktober ist er gestorben. „Pfarrer,
Sterben ist kein Kinderspiel", soll sein letztes Wort gewesen sein.
Alles trauerte um den geliebten Fürsten. Das Schlimme hatte sein
treues Volk vergessen, man dachte nur noch an das Gute, das er seinem
Lande getan hatte. Friedrich Schiller, der 1782 dem gewaltigen Herrn
entflohen ist, sagte beim Anblick seiner Gruft: „Da ruht er,
dieser rastlos tätige Mann. Er hatte große Fehler als Regent,
größere als Mensch; aber die ersteren wurden von seinen
großen Eigenschaften weit überwogen, und das Andenken an
die letzteren muß mit dem Toten begraben werden." Erst am 23.
Februar 1794 wurde dem Entschlafenen die Leichenpredigt gehalten, aber
nicht mehr von Pfarrer Wölssing, der nach ausgestandener harter
Krankheit 1793 um seine Zuruhesetzung eingekommen war, sondern von
seinem Schwiegersohn und Nachfolger Magister Johann Busch. Herzog Karls
guter Engel, die treue Gefährtin der besseren Hälfte seiner
Regierungszeit, die Herzogin Franziska, nahm ihren Witwensitz in Kirchheim
u. T. Am 18. Juni 1794 mußten die Untertürkheimer zur Erbhuldigung
nach Cannstatt.
[pag162] Der neue Herr entließ die aufgeklärten
Hofprediger seines Bruders und hob ohne weiteres die Karlsschule auf.
Auch gegen den Ämterhandel ging
er vor. Als er aber verlangte, daß die Beamten nachweisen sollten,
wie sie zu ihrem Amt gekommen seien, da stellte es sich heraus, daß fast
alle es gekauft hatten. Voll Entrüstung über die französischen
Königsmörder
befahl er die Aushebung von 14 000 Mann Landmiliz; aber die Burschen
brauchten die Gewehre zum Wildern. Und als hier ein Mann im Wirtshaus
von Milizblitz redete, wurde er nachts elf Uhr von zwei Burschen überfallen
und blutig geschlagen. Es war angeordnet, daß die kinderlehr-
und Sonntagsschulpflichtigen Mannschaften (die Pflichtigkeit ging bis
zum vierundzwanzigsten Jahr) nach wie vor dieselbe zu besuchen haben.
Der Kampf gegen die Franzosen, die Krieg den Palästen, Frieden
den Hütten verkündigten, war sehr wenig populär. In
den kriegerischen Zeiten mußte überall gespart werden,
und so ist Ende September die Brücke über den Neckar eingebrochen.
Während der Wiederherstellungsarbeiten wollte der Bürgermeister
von Reutlingen hinüber. Beim Wiederaufsteigen auf sein Pferd wurde
er aber von diesem hinuntergeschlagen und fiel auf Pfosten auf, so
daß er starb.
Am 21. Juli 1795 mußten die Bürger schon
wieder zur Erbhuldigung in die Amtsstadt. Am 20. Mai war Herzog Ludwig
Eugen, vom Schlag getroffen, tot vom Pferd gestürzt, und sein
Bruder Friedrich Eugen hatte die Regierung übernommen. Er war
mit Sophie Dorothea von Brandenburg verheiratet und seine acht Söhne
und vier Töchter waren evangelisch und also Aussicht, daß die
württembergischen Fürsten einmal wieder den Glauben ihres
Volkes teilen würden. Der Herbst 1792 war ein Fehlherbst gewesen
und der von 1795 war wieder schlecht, und dazu kamen die Kriegsunruhen.
So wuchs die Not und die Zahl der Unterstützungsbedürftigen
wurde sehr groß. Aber neben der materiellen Not und Armut drang
auch ein böser Geist der Unordnung und Widersetzlichkeit in die
Gemeinde ein, bürgerliche und kirchliche Pflichten wurden geringgeschätzt
und vernachlässigt. Und nun kam der Krieg zu uns. Juli 1796 rückte
Moreau mit seinen Sansculotten in Stuttgart ein. Die kamen daher wie
Vagabunden und Räuber, viele barfuß, ohne Hosen (sans culotte)
oder mit Hosen die sie sich aus geraubtem Bettzeug gemacht hatten,
auf dem Kopf die rote Freiheitsmütze mit dreifarbiger Kokarde
oder auch einen verwitterten braunen Hut, an dem etwa ein gestohlener
silberner Löffel oder auch eine Tonpfeife steckte. Die Franzosen
erzwangen den Übergang über den Neckar bei Cannstatt, und
es kam zu Gefechten zwischen Cannstatt und Eßlingen, bei denen
auch in unserem Ort Kanonenkugeln einschlugen. Doch richteten sie keinen
größeren Schaden an. Jetzt lernten also die Untertürkheimer
die Freiheitshelden kennen, die Frieden den Hütten brachten. Bei
Michael Scheef im „Usserdorf" stimmte das freilich nicht so
ganz. Er hatte zehn „fremde Völker" ins Quartier bekommen,
die nun gehörig im Haus herum fuderten und schrien und immer noch
mehr Schnaps haben wollten; als er keinen mehr hatte, glaubten sie's
nicht und drangsalierten ihn, bis er die ganze Gesellschaft auf die
Kirbe lud. Unglücklicherweise verstand aber einer Deutsch, und
nun hatte der Hausherr Zeit auszureißen auf den Heuboden und
von da an einer Leiter durchs Lädle hinunter. Es gelang ihm, seinen
Verfolgern zu entkommen, und er flüchtete in ein Weinberghäusle
in der Freigelshalde im Wolfelsbachtäle. Hier mußte er ordentlich
Hunger leiden, bis sein Weib seinen Aufenthalt erfuhr und ihm einen
Korb voll Nahrungsmittel bringen konnte. Da Erzherzog Karl erklärte,
das Land nicht mehr schützen zu können, schloß der
Herzog mit den Franzosen Frieden. Er mußte 8 Millionen Kriegssteuer
zahlen und Mömpelgard abtreten. Die Franzosen bekam er aber nicht
los, und die Österreicher behandelten nun Württemberg als
Feindesland. Wegen der Kriegslasten, die auf 11 1/2 Millionen Gulden
gestiegen waren, berief der Herzog zum erstenmal wieder seit 27 Jahren
den Landtag. Der brachte nun allerlei Übelstände zur Sprache
und stellte Forderungen auf, sandte sogar einen eigenen Gesandten nach
Paris, um den herzoglichen zu überwachen. Während aber über
eine Vermögenssteuer, die dem Herzog nicht gefiel, beraten wurde,
starb er am Schlag, Dezember 1797, und sein Sohn Friedrich II. trat
die Regierung an mit dem Versprechen, die Rechte seines Volkes zu wahren
und sein Wohl zu fördern. Eine der ersten Regierungshandlungen
Friedrichs II. war ein herzoglicher Synodalbefehl, daß für
Vergrößerung der viel zu kleinen Schulstuben oder für
eine [pag163] weitere zu sorgen sei. Schon 1791 wurde über Erweiterung
der Schulstuben beraten und zwei Jahre später dieselbe für
nächstes Frühjahr beschlossen. Aber geschehen ist nichts.
Und am 20. April 1798 wurden nicht Baugelder verbilligt, sondern die
zur Kriegsprägstationskasse einzuliefernde Kontribution berechnet.
Auch der Herzog hatte 2 v. H. von seinem nicht ganz 6000 Gulden betragenden
Vermögen und 1 v. H- aus dem Vermögen der Stiftungen abzuliefern.
Immerhin ist die schon in den achtziger Jahren in ruinösem Zustand
befindliche Orgel Ende 1798 von Orgelbaumeister Wälder wiederhergestellt
worden. Auf die Heiligung des Sonntags wurde damals noch streng gehalten.
Viele Bürger hatten Ipsgruben, und da kam der Unfug auf, daß an
Sonn- und Feiertagen der Ips geladen wurde. Dies wurde nun vom Zensurgericht
streng verboten. Gleichwohl luden zehn fremde Bauern am Ostermontag
ihre Wagen. Vor das Zensurgericht gefordert, konnten sie sich mit Unwissenheit
entschuldigen, und es wurden dann auch sechs Ipsgrubenbesitzer mit
je 1 Pfund Heller (42 Kreuzer) gestraft.